Praetorius, Meier-Gräwe, Um-Care

Ina Praetorius, Uta Meier-Gräwe, Um-Care, Wie Sorgearbeit die Wirtschaft revolutioniert, Patmos, Ostfildern 2023

Das Buch will Wissen um das Thema Sorgearbeit und Wirtschaft vermitteln, Denkprozesse anregen und zum eigensinnigen Handeln einladen. 61 kurze Texte (die meisten im zuvor Handelsblatt veröffentlicht) zu verschiedenen Themenbereichen der Sorgearbeit werden angesprochen. Die Grundannahme des Buches ist, dass sich Ökonomie von ihrer selbstgesetzten Zweckbestimmung entfernt hat. Die wichtige Frage heute ist die, wie die Menschen gut zusammenleben können und nicht wer die meisten Güter herstellt.
Im ersten Teil des Buches geht es um Altlasten der patriarchalen Ökonomie, um Begegnungen und um das Anders Sehen und Handeln. Es braucht ein Gipfeltreffen für eine umfassenden Care Politik. Dabei kommt es darauf an, die Dynamik der Kostenauslagerung in unbezahlte und unterbezahlte Bereiche des Wirtschaftens zu erkennen. Es ist herausfordernd, einen Haushalt zu organisieren und Kinder ins Erwachsenenalter zu begleiten. Die bestehenden Sozialversicherungssysteme sind nach wie vor auf vollerwerbstätige Personen ohne Lücken im Erwerbsverlauf ausgerichtet.

Das Buch ist durch die kurzen Kapitel gut zu lesen. Dadurch ist es auch geeignet, um über verschiedene Themen mit Männergruppen ins Gespräch zu kommen. Die Autorinnen fordern eine Debatte darüber, ob wir weiter damit leben wollen, dass dort am wenigsten bezahlt wird, wo die Nachfrage riesig und der Nutzen unbestreitbar ist. Sagen unsere Erfahrungen in der Corona Krise nicht, dass alles heruntergefahren werden kann, nur nicht die Arbeit, die mit der unmittelbaren Sorge für das tägliche Leben zu tun hat? Pflege und Care Arbeit wird oft als lästiger Kostenfaktor wahrgenommen. Solange Care Arbeit als „außerökonomische“ Tätigkeit definiert wird, bleibt das Dilemma der Unsichtbarkeit bestehen.

Oft werden, insbesondere wenn Care Arbeitende Ansprüche stellen. sie mit der Erwartungshaltung konfrontiert, sie sollten ihre Arbeit gleichsam als kostenfreier „Liebesdienst“ verstehen.
Das familienbasierte Pflegesystem muss zu einem servicebasierten System umgebaut werden. Häusliche Pflege muss sichtbar und als notwendige Arbeit anerkannt werden. Oft ist nur sichtbar und Gegenstand der Wirtschaftswissenschaften, was Geld einbringt. Die teilweise unbezahlte Care Arbeit muss daher zuallererst sichtbar gemacht werden.

Arbeit ist Arbeit, ob sie zuhause gratis oder im Pflegeheim gegen Lohn verrichtet wird.
Wir brauchen ein neues Verständnis von Produktivität, das alles Erzeugen als Zusammenwirken geborener Menschen mit endlicher lebendiger Materie begreift. Arbeitsintensive Dienstleistungsberufe und unbezahlter Care Arbeit müssen neu bewertet werden. Care muss zu einem Maßstab für alles werden, was Menschen tun. Es geht aber auch um die grundsätzliche Frage, wie wir in Zukunft zusammenleben wollen. Care bedeutet in diesem Sinne einen bestimmten Weltbezug, die das Leben und seine Erhaltung in den Mittelpunkt rückt. Dazu braucht es braucht es dann steuerpolitische Veränderungen, die auf eine faire Arbeitsteilung zwischen Müttern und Vätern zielen.

Das Buch gibt vielfältige Anregungen und Denkanstöße für dieses für unsere Gesellschaft wichtige Megathema. Es kann zum eigenen Nachdenken anregen und um in der Bewertung von Sorgearbeit als Gesellschaft umzukehren.

Jürgen Döllmann

Stichworte: Care

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