Karfreitag

Frieden und Karfreitag – das ist für mich eigentlich so unversöhnlich wie Tag und Nacht. Frieden ist Ruhe, Ausgeglichenheit und Wohlbefinden. Alles dies ist Karfreitag nicht.

Karfreitag, das ist, wenn das Bild von mir, das mich dreißig Jahre durch mein Leben getragen hat, plötzlich nicht mehr trägt. Wenn es marode wird, dieses mich tragende Bild, und wenn ich dann falle, falle ins Bodenlose. Karfreitag, das ist der Moment, in dem meine Frau mir sagt, „es geht nicht mehr“ und am nächsten Morgen weg ist mit den Kindern. Karfreitag, das ist, wenn das Haus so schrecklich still ist. Und das Leben leer. Karfreitag, das ist, wenn etwas in mir stirbt.

Elizabeth Kübler-Ross‘ fünf Trauerphasen zufolge verarbeiten wir einen überwältigend großen Verlust zuallererst mit der Leugnung ebendieses Verlustes. In der Schule habe ich die Karfreitagsgeschichte mit einem Kopfschütteln gelesen – ich konnte und wollte einfach nicht verstehen, warum Petrus sich der Pförtnerin, den Knechten und Dienerinnen gegenüber verleugnete. Als Karfreitag dann plötzlich in meinem Leben geschah, wurde ich selbst zum Petrus, der sagt: „Ich bin es nicht.“

Im Garten Gethsemane bekennt Jesus sich zu sich und seinem Namen, er antwortet den Soldaten und Gerichtsdienern „ich bin es.“ (Joh 18,5). In dem Moment, in dem ich selbst im Garten Gethsemane stehe, kann und will ich mich nicht zu mir bekennen. Weder zu meinem Schmerz noch zu all der Trauer und Ohnmacht. Erst unzählige in Wut zerbrochene Teller, komplette Nervenzusammenbrüche und vor lauter Hilflosigkeit gefaltete Hände später, kann ich akzeptieren, dass geschehen ist, was geschehen ist.

Ich setze mich in den Garten und lausche dem Summen der Bienen im Flieder. Trinke einen Schluck. Fühle, wie Schmerz und Trauer in mir aufkommen. Und dennoch ist alles anders. Es ist das erste Mal, dass ich das Summen der Bienen wieder hören kann. Das erste Mal, dass die Ruhe in mir einem Frieden gleicht.

Karfreitag erzählt uns von unseren ungeliebten Gefühlen, für die wir heute weder Zeit noch Raum haben und auch nicht haben wollen und die wir deshalb genauso verleugnen wie Petrus seine Identität. Was sagt dein innerer Petrus, heute, an dem Tag, an dem alles still wird? Was muss er endlich sagen dürfen, um Frieden zu finden?

Kim Degner

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