Sauer, Penz, Konjunktur der Männlichkeiten

Birgit Sauer, Otto Penz, Konjunktur der Männlichkeiten, Affektive Strategien der autoritären Rechten, Campus Verlag, 2023

Seit der Jahrtausendwende gibt es in vielen europäischen Staaten ein Zitierkartell aus selbsternannten „Anti Gender“ Aktivisten und autoritären Rechten. Dies ist symptomatisch für die Positionierung der autoritären Rechten mit einer antifeministischen, maskulinistisch-autoritären Konjunktur. Sie sollen eine spezifische Affektstruktur aus Bedrohung, Angst und Wut mobilisieren. Das Buch versucht den Aufstieg und die Erfolge autoritärer Parteien in Deutschland und in Österreich vor dem Hintergrund neoliberaler Transformationen und großer Krisen der letzten 20 Jahre nachzuzeichnen.
Rechtspopulistische Parteien und Bewegungen sind durch den Gegensatz zwischen Wir und Anderen, seien es Migrant:innen, Asylsuchende oder LGBTIQ-Personen gekennzeichnet. Die „Anderen“ stellen eine Bedrohung des Volkes dar. Rechten Parteien geht es um mehr als um Immigrations- und Familienpolitik, es geht darum, Länder der EU in Richtung eines national-autoritären Projektes umzubauen. Der identitätsbedrohende Individualismus der westlichen Moderne und damit auch der Kampf um Emanzipation wird als bedrohlich wahrgenommen.

Es existiert eine Erosion der traditionellen männlichen Herrschaft, eine Ausbreitung sozialer Unsicherheit, vermehrte Umwälzungen der Erwerbsarbeit und ihre Prekarisierung. Fragen der Zugehörigkeit, Erosion der bürgerlichen Kleinfamilie, Flüchtlings- und Migrationsbewegungen und Globalisierungsprozesse spielen in der Gesellschaft eine große Rolle. Weitere Stichworte sind Entgrenzung zwischen Ökonomie und Staat (Deregulierung von Märkten) und der Rückzug des Staates aus der Absicherung des Lebens. Beispielsweise führten die Arbeitsmarktreformen in Deutschland zu einem Anstieg atypischer und prekärer Beschäftigungsverhältnisse. Prekarisierung der Erwerbsarbeit, aber auch die wachsende Ungleichheit an Einkommen, stellen die zentralen Werte der Gesellschaft massiv infrage. Soziale Unsicherheit und das Gefühl, im neoliberalen Wettbewerb nicht mehr mithalten zu können, verändern gesellschaftliche Prozesse und die soziale Atmosphäre und bilden das Fundament für die Entstehung und das Anwachsen rechts-autoritärer Parteien und Bewegungen.

Was bedeutet das nun für die Geschlechterverhältnisse?
Neoliberalisierung führt einerseits durch die Mobilisierung weiblicher Arbeitskräfte zu größerer weiblicher Autonomie, aber die neue Freiheit ist oft mit hoher sozialer Unsicherheit verbunden. Für Männer bedeutet die neoliberale Flexibilisierung der Erwerbsarbeit ein kontinuierlicher Bedeutungsverlust (Leiharbeit, Brüche im Erwerbsleben, befristete Beschäftigung). Angesichts der Zentralität der Erwerbsbiografie für viele Männer ist diese Transformation eine Herausforderung für Konstrukte von Männlichkeit. Erosion hierarchischer Geschlechterkonstellationen bilden die Grundlage einer Rekonstruierung starker souveräner Männlichkeit. Dieses ist der Hintergrund für Mobilisierungsformen der autoritären Rechten.

Die Neuausrichtung autoritärer Rechten setzt deutlicher als früher an existenziellen Alltagspraxen von Menschen an. Außerdem war es historisch die hierarchische Zweigeschlechtlichkeit stets im Zentrum völkischer Ideen. Vermeintlich wurde Gender Mainstreamig von der EU verordnet (von denen „da Oben“, einer korrupten Elite). Außerdem können Personengruppen, die die die Identität und das Eigene des Volkes gefährden, ausgeschlossen werden (LGBTIQ, Migrant:innen). Die Auflösung vermeintlich sicherer, tradierter Geschlechter- und Sexualitätsordnungen ist gut für eine Anti Gender Mobilisierung geeignet. Es geht also um Emotionen und Affekte.

Es wird ein umfassendes Bedrohungsszenario kreiert, weil das Konzept Gender und Gleichstellungspolitiken eine Gefahr für die gewohnte Ordnung und für traditionelle Werte darstellt. Als Beispielspunkte seien die Familie und die gesellschaftliche Ordnung, der Niedergang von Männlichkeit und die Feminisierung der Gesellschaft genannt. Die autoritären Rechten bieten als Lösung die Re -Etablierung alter Gewissheiten, vermeintlich stabiler, weil als natürlich begriffener Geschlechtsidentitäten an. So könnten Männer -aber auch Frauen- Handlungsmacht und Kontrolle über ihr Leben zurückerhalten.
Und noch am Rande: Die Anti Gender Bewegung wurde vom Vatikan 1995 als Reaktion des Abschlussdokuments der UN-Frauenkonferenz ins Leben gerufen. Diese Information hat mich beim Lesen des Buches doch traurig gemacht.

Ängste und Unsicherheiten werden mit dem Versprechen der Sicherheit und des Schutzes (vor Fremden) vermischt. Sorglosigkeit angesichts liberaler Unbehagen ist das Versprechen. Was ist jetzt wichtig? Den Autoren nennen zunächst die Überwindung patriarchal- kapitalistischer Arbeitsweisen, die Stärkung von Gleichheit und Solidarität sowie die Überwindung der kontinuierlichen Produktion von Ungleichheit. Sicherheit muss aus der konkreten Praxis der Menschen entstehen. Wissen um die gemeinsame Abhängigkeit, um Sorge und das gemeinsame Angewiesensein können dabei helfen. Demokratie braucht offene Räume des Politischen, muss mit Unsicherheiten und Ambivalenzen leben lernen. Es braucht ein neues Konzept von Arbeit jenseits von Lohnarbeit.


Das Zusammenspiel von ökonomischen Transformationen, sozialen Kämpfen und Veränderungen von Geschlechterordnungen gelten als Erklärungsmuster für den Erfolg autoritär rechter Parteien.
Deutlich wird in dem Buch, dass die Rechte eine neue Männlichkeit und ein neues Gesellschaftsmodell der Ungleichheit und Ausschließung anstrebt. Durch die Kanalisierung von Emotionen im Geschlechter- und Sexualitätsdiskurs zielt die autoritäre Rechte darauf, antidemokratische Haltungen in den Körpern der Menschen zu verankern. Es ist meines Erachtens ein großes Verdienst des Buches, diese Zusammenhänge deutlich zu machen. Zugleich beinhaltet dies aber auch die Aufforderung an uns alle, dem entgegenzuwirken.

Jürgen Döllmann

Stichworte: Männlichkeit, Untersuchungen und Studien

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