Andreas Lampert, Die sprachlose Seite der Gewalt, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2023
Macht und Gewalt sind sozialisatorisch in vielen Biografien von Männern eingeschrieben. Themen der Männlichkeit, Maskulinität, der Zugehörigkeit oder auch der Entfremdung sind in jeder männlichen Sozialisation mehr oder weniger reflektierte Orte für die Suche nach der eigenen geschlechtlichen Identität. Der Autor, Professor für Theorie und Praxis der Methoden der Sozialen Arbeit am Fachbereich Sozialwesen der Ernst-Abbe-Hochschule Jena, diskutiert in diesem Buch Aspekte rund um die Themen Gewalt und Männlichkeit. Die soziale Aneignung von Geschlecht und Geschlechterbildern trägt zu Ausgrenzungsprozessen, zur Machtausübung und auch zur Gewalt bei. Die soziale Zurechnung von Männlichkeit ist dauernden Beweisführungen ausgesetzt.
Wer ein Mann ist, erschließt sich nicht mit Blick auf einen einzelnen Mann, sondern durch kulturelle Geschlechterideologien und einem Anpassungsdruck hinsichtlich geschlechtskonformen Verhaltens. Männer werden gemacht und nicht geboren. Sie werden dazu gebracht, idealtypischen Männlichkeitsbildern zu entsprechen, damit sie in öffentlichen und privaten Räumen anerkannt werden.
In der Beratung bringen die zu Beratenden als auch die Beratungspersonen Geschlechterrollen und ihre Identität mit. Dabei ist Männlichkeit nicht statisch, sondern dynamisch in verschieden Altersphasen und Kontexten. Durch den Erfolg in der Erwerbsrolle wird die männliche Geschlechtsrolle mit den Attributen der Durchsetzungs- und Konkurrenzfähigkeit aufgeladen. Auf Männlichkeitsentwürfe, die mit Handlungsstrategien der Machbarkeit und Verfügbarkeit auf herausfordernde Situationen antworten, treffen nun Lebensrealitäten, in denen das Mann sein mit Gefühl und Aushalten von Spannungen gefordert ist.

Gewalt und männliche Täterschaft escheinen untrennbar miteinander verknüpft, weil sie als Darstellungsformen traditioneller Männlichkeit gelten. Die Perspektive auf die Gewaltbetroffenheit von Männern erfährt bisher wenig Beachtung. Zahlreiche Männer leiden unter der Angst, dass ihnen bei einer Anzeige von Gewalt nicht geglaubt wird -denn es steht im Kontrast zur gesellschaftlichen Konstruktion und sozialen Aneignung von Männlichkeit. Aber jedes fünfte Opfer in nahen Sozialbeziehungen ist ein Mann.
Einerseits bestehen in Partnerschaften veränderte Anforderungen an die Rollen von Männern z.B. in der Übernahme von Care Arbeiten. Ökonomisch erscheint es aber angebracht, auszufallen und zumindest partiell abwesend zu sein. Der Druck zur Nachweisführung, in allen Situationen als hinreichend männlich angesehen zu werden, stellt die männliche Identität andauernd in Frage.
Gewalterfahrungen werde oft in Erzählungen eingebettet. Es muss versucht werden, das Erzählte aus der Perspektive Betreffender zu verstehen sowie faktische und erwartende Konsequenzen von Handlungen einzubeziehen. Wer als Mann Hilfe beansprucht, thematisiert damit gleichzeitig seine Männlichkeit.
Täter Opfer Dynamik maskuliner Bewältigung und Fragestellungen werden in dem Buch thematisiert. Aus hegemonialen Verhältnissen resultieren ausschließlich Opfer, weil alle Gefangene der Täter Opfer Dynamik bleiben. Stattdessen muss die soziale Verantwortung gestärkt werden. Koevolution als Kunst des gemeinsamen Wachsens.
Wie kann in der Beratung mit dem Spannungsfeld von Männlichkeit und Gewalt umgegangen werden? In diesem Buch werden neben theoretischen Grundlagen Erkenntnisse aus der Beratungspraxis Macht-Ohnmacht- Gewalt, angereichert durch einige Fallbeispiele vermittelt. Zum Verständnis dieser Dynamiken fand ich das Buch hilfreich.
Jürgen Döllmann
Stichworte: Männlichkeit, Männer Heute, Lebenshilfe