Steindl, Wohin mit der gleichgeschlechtlichen Liebe in der katholischen Kirche?

Matthias Steindl, Wohin mit der gleichgeschlechtlichen Liebe in der katholischen Kirche? Ein theologisch-rechtlicher Lösungsvorschlag, Herder Verlag 2025

Hängt das katholische Eherecht an seiner dogmatischen Prämisse der Heterosexualität der Liebespartner und der damit implizierten Möglichkeit zur Zeugung von Leben? So könnte man die Fragestellung des Buches zugespitzt auch formulieren. Denn an dieser kirchenrechtlichen Voraussetzung scheitert bisher jeglicher Versuch, gleichgeschlechtlich und heterosexuell Liebende kirchenrechtlich gleichzustellen. Der Versuch, durch eine wie auch immer gestaltete Segnung einen Kompromiss für diese Frage zu finden, wird von vielen zurecht als zweitbeste Lösung empfunden.

Mir ist bisher keine umfassendere kirchenrechtlich orientierte Studie zu diesem Thema begegnet wie diese Dissertation, die bei der katholischen Fakultät im Fach Kirchenrecht in Regensburg angenommen wurde. Dies allein ist wohl zumindest außerordentlich bemerkenswert. Dass dieser Text darüber hinaus hervorragend den Stand wissenschaftlicher Forschung auf dem Gebiet gleichgeschlechtlicher Partnerschaft darstellt und deshalb als wertvolle Quelle für wissenschaftlich und kirchlich Interessierte zu diesem Themenkomplex darstellt, ist das herausragende Verdienst des Autors. Zunächst nimmt Steindl die empirische Forschung in den Blick und parallelisiert sie zu den diesbezüglich vorhandenen lehramtlichen Bewertungen. Danach unternimmt er furchtlos das Unternehmen, auf dafür knappen rund zweihundertfünfzig Seiten die lehramtliche Argumentation darzustellen und theologisch zu bewerten (hervorragend zusammengestellt!), bevor er in einem dritten Teil einen Vorschlag für die Öffnung der sakramentalen Ehe für gleichgeschlechtliche Paare vorzunehmen, bis hin zu Formulierungsvorschlägen und deren Begründung der einschlägigen Canones (Chapeau für diesen konkreten Vorschlag!). Zwar mit der Materie theologisch seit vielen Jahren befasst, habe ich ein so umfassendes, kompaktes und dabei verständlich geschriebenes Werk aus kirchenrechtlicher Perspektive noch nicht gelesen.

Dreh- und Angelpunkt ist für Steindl die Liebe zwischen zwei Partnern. Amor, also Liebe im erotischen Sinne, ist nach seiner Argumentation kein neuer Topos in der Ehelehre der Kirche, sondern er kann zeigen, dass das Eheverständnis sich durch die Jahrhunderte immer mehr dahin gewandelt hat, die romantische Zuneigung zweier Geschlechtspartner höher zu bewerten, als z.B. den Vertragsgedanken aus dem Eherecht des Römischen Reiches. Wenn aber die Liebe das entscheidende Kriterium für die Erhebung einer Verbindung zu einem Sakrament ist, und zwar in der Definition der Ehebundlehre als consortium totius vitae (can. 1055, §1), die sogar über ein rein gefühlsmäßiges Liebesgefühl romantischer Art hinausgeht (deutsche Übersetzung: „Gemeinschaft des ganzen Lebens“), dann können diejenigen Werte einer Ehe, die im Tiefsten dem christlichen Grundverständnis zwischenmenschlicher Lebensgestaltung entsprechen, auch für gleichgeschlechtliche Paare gelten, so die Argumentation. Fruchtbarkeit einer solchen Zweierverbindung breiter zu definieren als die Fähigkeit und Möglichkeit, eigene biologische Nachkommen zu zeugen, ist sowohl in klassischen lehramtlichen Texten, als auch in moderner Ethik von Zweierbeziehungen zu finden. Dass Liebe und Fruchtbarkeit in einem weiteren Sinne (das Gattenwohl z.B.) sowohl in gleich- wie heterosexuellen Beziehungen zu finden ist, daran gibt es in der Gegenwart wohl keinen Zweifel.

Steindl kann unter Zuhilfenahme einschlägiger theologischer Beiträge der Gegenwart nachweisen, dass sowohl die Entstehung, als auch die inhaltliche Füllung der Sakramentalität der Ehe nicht vom Himmel gefallen sind, sondern das Ergebnis eines theologischen Suchprozesses über Jahrhunderte war. Erst im 11. Jahrhundert wird die Eheschließung zu den Sakramenten gezählt (S. 334), die Siebenzahl sogar erst auf dem Konzil von Lyon 1274 dogmatisch festgelegt. Davor schwankte die Zahl der Sakramente von zwei bis zwölf (S. 333). Das Argument dahinter: Wo so lange inhaltlich und formale Entwicklung geschehen ist, ist ein Teil von Tradition Veränderung.

Nach der instruktiv anmutenden Lektüre des Buches gewinnt der theologische Gehalt des Sakramentes der Ehe eine neue Radikalität gegenüber der derzeit diskutierten Möglichkeit eines Segens für gleichgeschlechtliche Paare. Wenn die Ehe als eine „Gemeinschaft des ganzen Lebens“ definiert wird, als „Schicksalsgemeinschaft“, wie manche Autor:innen auch übersetzen (S. 284 f.) dann verdient sie gegenüber allen anderen Formen des symbolischen Bekenntnisses von zwei Menschen besonderen Respekt. Wer sich zu dieser Art von Bekenntnis entschließt, meint es radikal ernst. Warum soll gleichgeschlechtlichen Paaren, die dazu bereit sind, dann die Eheschließung verboten bleiben, wenn sie zu einer solchen Schicksalsgemeinschaft bereit sind? Beim besten Willen fällt mir auf diese Frage keine Antwort ein.

Andreas Heek, Jahrgang 1967, Leiter der Arbeitsstelle Männerseelsorge und Männerarbeit in den Deutschen Diözesen und Leiter des Fachbereichs Queerpastoral in den Deutschen Diözesen.

Stichworte: LSBTI, Kirche und Theologie

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