Wilms, Meine zwei Leben

Valerie Wilms, Meine zwei Leben. Als Junge geboren, als Frau im Bundestag, München (LMV) 2025.

Zwölf Jahre nach dem Ausscheiden als Abgeordnete aus dem Deutschen Bundestag 2017 entscheidet sich Valerie Wilms nun, ihre Transgeschlechtlichkeit öffentlich zu machen. Warum? Und: warum jetzt? Es ist nicht leicht, so viel sei schon gesagt, Antworten auf diese Fragen zu finden.

Wilms war zur aktiven Zeit in der Politik wichtig, ihre Transgeschlechtlichkeit nicht öffentlich und schon gar nicht zum Politikum zu machen. Sie wollte öffentlich immer als Frau gelesen werden. Im Buch deutet sie an, welches innere Ringen und auch Leiden dieser „Verwandlung“ von Mann zur Frau vorausgegangen sind, einschließlich Trennung von der Ehefrau und der Kontaktabbruch zu den gemeinsamen Kindern. Beim Begriff „Verwandlung“ gibt es allerdings schon erste Schwierigkeiten. Im Buch beschreibt sie, dass sich ihre „biologische“ (genauer meint sie wohl genetische) Männlichkeit trotz ihrer geschlechtlichen Angleichung zur Frau nicht geändert habe. Darüber hinaus schreibt sie von der Variante ihrer geschlechtlichen Wahrnehmung als einer „Krankheit“, deren psychische Symptome durch die Transition aber wesentlich gelindert worden seien. Diese wenigen Stichpunkte genügen vielleicht schon, dass die Beschreibungen von Valerie Wilms wohl in der Trans-Community nicht gänzlich unumstritten sein dürften.

Man kann das Buch auch als Reflexion der Politikerin Valerie Wilms für die Grünen im Bundestag lesen. Oder ist es eher eine Abrechnung mit „ihrer“ Partei? Wilms beschreibt ihren mühsamen Weg in die Politik und den oft frustrierenden Kampf um Mandate. Lesende werden dadurch nicht unbedingt motiviert, „in die Politik“ zu gehen. Auch die Beschreibungen der Sacharbeit im politischen Geschäft wirken anstrengend und aufreibend, auch wenn Wilms betont, dass sie doch im Rahmen ihrer Möglichkeiten viel erreicht hätte und ihr diese Arbeit Freude gemacht hätte. Der Bericht über den Alltag im Bundestag und den Auseinandersetzungen in ihrer eigenen Partei nehmen einen Großteil des Buches ein, sodass zunächst die Frage aufkommt, was das Ganze eigentlich mit ihrer Transgeschlechtlichkeit zu tun hat. Außerdem: Die parteiinterne Erfahrung der Dynamiken ist schon oft und ähnlich beschrieben worden. Also: warum dann das Ganze?

Vielleicht geht eine Annäherung so: Valerie Wilms beschreibt sich als eine Person, die immer versucht habe, „ideologiefrei“ und „an der Sache orientiert“ zu arbeiten. Da geht sie politisch auch schon mal strategische Partnerschaften ein, die im wahrsten Wortsinn „politisch nicht korrekt“ sind, nämlich nicht mit der öffentlich vertretenen Parteilinie übereinstimmen. Diese Sachorientierung sei dann, so Wilms, nicht immer geeignet gewesen, innerhalb der Parteihierarchie aufzusteigen oder wenigstens den erreichten Status zu erhalten.

So hält sie es auch mit der Parteilinie zu queeren Identitäten. Sie hält überraschenderweise das neu eingeführte Selbstbestimmungsgesetz, das zugunsten des von ihr favorisierten alten Transsexuellengesetzes mit Beurteilung von zwei Psycholog:innen über Vorliegen einer Transgeschlechtlichkeit, einschließlich Scheidung vom Ehepartner für nicht zielführend. Wenn man jedes Jahr seinen Geschlechtseintrag beim Standesamt ändern könne, wäre das nicht hilfreich für die gesellschaftliche Anerkennung von Transgeschlechtlichkeit als eine besondere Form von Geschlechtsidentität. Wahrscheinlich gab die Entscheidung der letzten Bundesregierung zur Transformation des Transsexuellengesetzes hin zum Selbstbestimmungsgesetz den letzten Anstoß zum Verfassen dieses Buches. So viel zu der Antwort auf die Frage „Warum jetzt.“

Diese Kritik gerät leider etwas stark zu einer Polemik gegen das Selbstbestimmungsgesetz, was auch an einem schrägen, weil auf eine falsche Fährte führenden Vergleich liegt. Sie wirft den Grünen vor, sie hätten sich seit ihren Gründungszeiten immer wieder von Aktivist:innen von Randgruppen in der Gesellschaft für deren Zwecke vollständig vereinnahmen lassen, und führt als Beispiel die pädosexuelle Pressure-Group an, die in den 80er Jahren die Grünen für ihre Anliegen zeitweise gekapert hatte. Wilms‘ Argument zielt wahrscheinlich aber in eine andere Richtung. Nach wie vor tritt sie dafür ein, dass transgeschlechtliche Menschen nicht herabgewürdigt und benachteiligt werden. Sie selbst hat solches im Berufsleben vor der Politik leidvoll erleben müssen. Sie hat aber offenbar eine Aversion gegen diejenigen Aktivist:innen entwickelt, die ihre eigene Betroffenheit zu einem Politikum machen und die Erfahrung von Diskriminierung zu einem Mittel einsetzen, Reichweite zu erzielen und sich damit politische zu profilieren. Wilms jedenfalls schildert sich als zufrieden damit, dass sie es bis in den Bundestag geschafft hat, ohne ihre eigene Biografie dafür einzusetzen, sondern indem sie überwiegend „die Sache“ und das bessere Argument zur Richtschnur ihres politischen Handels gemacht hat. Die Kluft zwischen (unzureichender) Sachorientierung und ideologischen Einstellungen, fußend auf einem Minderheitenproblem und Konkurrenz um Machtpositionen hat Wilms am Ende offenbar so frustriert, dass sie sogar ihre Austrittserklärung aus der Partei „Bündnis 90/Die Grünen“ im Buch abdruckt.

Leider müssen die Erzählstränge des Buches gedanklich etwas mühsam zusammengesetzt werden. Man hätte dem Duktus und auch dem Schreibstil eine besser redigierende Hand seitens des Verlages gewünscht, die die Lesenden besser am Gedankengang entlangführt. Dann wären diese teilweise quer auch zum queerpolitischen Mainstream stehenden Gedanken leichter nachvollziehbar gewesen. Ein wertvoller, kritischer Debattenbeitrag sowohl zur Parteiendemokratie als auch zum Queeraktivismus ist das Buch aber allemal.

Dr. Andreas Heek, Jahrgang 1967, leitet die Arbeitsstelle für Männerseelsorge und Männerarbeit der Deutschen Bischofskonferenz und koordiniert die Bundesarbeitsgemeinschaft für Queerpastoral in den Deutschen Diözesen.

Stichwort: LSBTI

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