Haberl, Der gekränkte Mann

Tobias, Haberl, Der gekränkte Mann, Verteidigung eines Auslaufmodells, Piper Verlag, München 2022

Warum ist es zu diesem Buch gekommen? Der gekränkte Mann. Ich spürte, dass in dem Satz eine tiefe Wahrheit steckt, weil sich vieles, was in unserer Gesellschaft gerade beschwerlich oder bedrohlich ist, damit erklären lässt, dass sich unsere Vorstellung von Männlichkeit gewandelt hat, ja dass Männlichkeit an sich immer häufiger attachiert und verurteilt wird. Männer werden als Mängelwesen diffamiert, deren Lebensleistung nicht respektiert und anerkannt wird und die für jede Menge Unheil auf der Welt verantwortlich sind.  
Ich bin irgendwas dazwischen. Für gleiche Rechte, gleiches Einkommen, aber gegen die reflexartige Skandalisierung jedes nicht hundertprozentig besenreinen Satzes. Es geht in diesem Buch um die Sehnsucht nach einer Männlichkeit, die sich nicht verleugnet, aber auch nicht anbiedert. Im Moment bin ich auf der Suche, weil die Idee von Männlichkeit, die mich ein Leben lang begleitet hat, nicht mehr gilt. Ich muss aufpassen, wie ich mich setze, wie ich spreche, wie ich Witze mache.
Viele Männer sind verunsichert, weil sie als Männer insgesamt in einen Topf geworfen werden, viele leben in einer Welt, die sie aufgrund der Veränderungen der Arbeitswelt und der digitalen Gegenwart immer weniger verstehen. Daher plädiert der Autor für Verständnis mit Männern, die sich schwer tun mit einer Welt, die ganz anders ist, als die sie jahrzehntelang kannten

Mir ist erst bei er Arbeit an diesem Buch aufgefallen, dass ich mein halbes Leben fast ausnahmslos von Männern geprägt wurde. Heute ist tatsächlich alles, was in meiner Jugend cool war, fragwürdig, peinlich oder verboten. Wo sind die Männer, die sich nicht optimieren, sondern verschwenden, die nicht achtsam, sondern aufrichtig sind, die sich im Kalender keine Brückentage anstreichen, sondern verrückt aufs Leben sind?

Es geht in diesem Buch nicht um böse Männer, sondern um den Rest, die unbeholfen, schwerfällig und durcheinander sind, weil sich so vieles verändert. Auf der einen Seite heißt es, Männer müssten sich anpassen. Diese Männer haben das Gefühl, dass ihnen etwas weggenommen wird. Sie verlieren Privilegien, die sei jahrhundertelang auf Kosten anderer innehatten. Es gibt Männer, die aus ihrer Kränkung heraus an Minderwertigkeitskomplexen und Größenwahn leiden, ihren Bedeutungsverlust durch Aggression kompensieren.
Viele Männer tun sich schwer damit, einen Kultur- und Normenwandel zu erleben, auch mit den neuen Anforderungen. Frauen und Männer haben die gleichen Rechte. Das empfinden sie nicht als Fortschritt, sondern als Angriff auf ihre Identität. Denn sie haben das Gefühl, alles richtig gemacht zu haben, sie fühlen sich aber allein gelassen, weil sie nicht mobil, vernetzt und flexibel genug für die moderne Welt sind. Es geht nicht nur darum, dass Männer ihre Jobs verlieren, sonders dass sie es gewohnt waren, die sicheren Jobs zu haben. Der Autor glaubt, dass wir diese Männer unterstützen müssen, dass nicht nur ihre Vergehen, sondern auch ihre Verluste und Niederlagen etwas angehen.

Wenn wir uns solche Unbekümmertheit nicht mehr zumuten, wird unsere Gesellschaft nicht gerechter, sondern weniger lebendig. Man kann sich über die Männer lustig machen, die sich schwertun mit der Gegenwart und ihren Gesetzen. Man kann aber auch versuchen, ihre Gefühle nachzuempfinden. Vielleicht sind einige ja nur damit beschäftigt, ihre Rolle in einer veränderten Welt zu finden.

Ich habe keine Feldstudien, glaube aber, dass Millionen von Männern die Zeichen der Zeit erkannt haben, aber ihre neue Rolle noch nicht gefunden haben. Viele Männer fühlen sich in Kollektivhaftung genommen und von der Diskussion über gesellschaftliche Veränderungen ausgeschlossen. Im Grunde blieb ihnen keine adere Rolle übrig als zu schweigen. Der Übergang von einer weißen und männlich geprägten Industriegesellschaft in eine diverse, postindustrielle und globalisierte ist keine Kleinigkeit. Wir müssen einen beherzten Aufbruch wagen, ohne sämtliche Brücken abzureißen. Deswegen sollte man mit diesen Männer Geduld haben, statt sie der Lächerlichkeit preiszugeben. Ein Feminismus, der nicht bitter und hämisch, sondern souverän, zugewandt und verständnisvoll ist, könnte diese Männer von ihrem Hang zur Selbstzerstörung und ihrem verkrüppelten Gefühlsleben erlösen. Diese Männer haben Respekt für ihre Lebensleistung verdient. Insbesondere sind oftmals die vielfachen heterosexuellen Verhaltensformen aus dem Blick geraten, in denen auch heute noch die meisten Zeitgenossen leben.

Es wäre sinnvoller, wenn sich nützliche Anteile traditioneller Männlichkeit wie Durchsetzungskraft, Pioniergeist und Eigensinn hinüberretten können und mit den Errungenschaften des aufgeschlossenen Gegenwartsmannes verschmelzen. Statt traditionelle Männlichkeit auszutrieben, sollten wir akzeptieren, dass es eine männliche Energie gibt, die nicht verloren gehen sollte: eine Lust am Konflikt, Wettbewerb und Widerspruch.
Wenn wir so weitermachen wie bisher, landen wir in einer achtsamen und liebenswerten, aber erlahmten Gesellschaft, die politisch, wirtschaftlich und kulturell an Einfluss verliert.

Im Moment fühlen sich viele Männer überfordert, weil sie sich umstellen müssen. Darauf haben Sie keine Lust, sie fühlen sich gemaßregelt, bevormundet, unter Druck gesetzt. Im Moment spaltet sich unsere Gesellschaft in die einen die wollen, dass alles so bleibt und die anderen, die alles neu machen wollen.

Und deshalb plädiert dieses Buch für Geduld mit Männern und Frauen., für mehr Souveränität im Umgang miteinander und gegenseitige Rücksicht. Was nun folgen muss, ist eine Erweiterung der Männlichkeit nach innen, bei dem sich Männer von traditionellen Rollenbildern lösen und erkennen, dass sie dadurch Freiheit gewinnen, dass ihr Leben gelassener und gesünder werden kann. Wir sollten die pauschale Verachtung von älteren weißen Männern einstellen. Dann sind wir auf dem Weg nicht zu einem modernen Mann, sondern zu einem guten Menschen.

Ein lesenswertes Buch, welches zur Diskussion anregt!

Jürgen Döllmann

Stichworte: Männlichkeit, Männer Heute

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