Christian Roesler, Partnerschaftsgewalt und Geschlecht, Nomos, Baden Baden, 2024
Die Arbeit gibt einen Überblick über den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Gewalt in Partnerschaft und Familie und der Frage, in welchem Ausmaß dabei Männer und Frauen jeweils Opfer bzw. Täter sind. In Medien und Politik wie auch in Teilen der Wissenschaft herrscht teilweise die Auffassung vor, dass häusliche Gewalt vor allem von Männern als Tätern ausgeht und Frauen als Opfer betroffen sind. Eine große Anzahl von repräsentativen empirischen Studien zeigt mittlerweile, dass Männer in gleicher Weise Opfer von Gewalt in Beziehungen sowie Frauen in vergleichbarer Weise zu Täterinnen werden. Sowohl zur Quantität und Qualität von Gewalt sowie zu den Dynamiken und Folgen fehlen für den deutschsprachigen Raum tiefergehende Erkenntnisse.
Mit Gewalt bezeichnet der Autor alle Verhaltensweisen, die mit der Absicht der Schädigung eines Beziehungspartners ausgeführt werden. Hellfelddaten sind abhängig vom Anzeige- und Meldeverhalten, Anzeigebereitschaft im sozialen Nahbereich ist ohnehin sehr gering. Außerdem neigen Männer -entsprechend den Verhaltenszuschreibungen ihrer Geschlechterrolle dazu, selbst erlittene Gewalt zu bagatellisieren und ihr Opfersein zu leugnen. Die polizeiliche Kriminalstatistik beinhaltet ausschließlich Hellfelddaten und damit nur einen Teil der Statistik.
Ob ein Mensch gewalttätig wird, hängt von den Lebensumständen in seiner Jugend ab und nicht von vorgegebenen Faktoren wie dem Geschlecht. Männer tendieren eher zu direkten Formen der Aggression, währen Frauen eher Methoden der sozialen Manipulation nutzen.
Es gibt kein monolithisches Erklärungsmodell von Gewalt wie das grundsätzliche Streben nach Dominanz und Kontrolle seitens von Männern. Grundsätzlich ist von einem komplexen Zusammenspiel verschiedener Risikofaktoren auszugehen: Stress, Kindheitserfahrungen mit Gewalt/ Traumatisierung und die Legitimierung familiärer Gewalt durch Normen und Werte.

Angesichts stereotyper Zuschreibungen denken von Gewalt betroffene Männer oft, sie seien die einzigen, denen so etwas passiert und vermuten, dass ihnen nicht geglaubt wird. Es braucht männerspezifische Ansprache und explizite Hinweise auf entsprechende Angebote. Dazu braucht es eine hinsichtlich des Geschlechts unvoreingenommene und unverzerrte Diagnostik und Interventionsplanung, die ausschließlich auf den jeweiligen Fall eingeht. Bei häuslicher Gewalt gibt es keine Trennung zwischen politisch legitimer -weibliche- und illegitime -männliche- Opfer.
Der Stand der Erkenntnisse spricht dafür, dass Gewalt in Partnerschaften nur durch zirkuläre Modelle angemessen erklärt werden kann und damit Interventionen grundsätzlich ein paartherapeutisches Vorgehen bei Partnerschaftsgewalt nahelegt. Außerdem beeinflusst die gesellschaftliche Stigmatisierung männlicher Opfer das Hilfesuchverhalten von Männern nachhaltig.
Ein zum Verständnis der Thematik Partnerschaftsgewalt und Geschlecht hilfreiches und notwendiges Buch.
Jürgen Döllmann
Stichworte: Männer Heute, Männlichkeit, Lebenshilfe