Schorberger, Liebende diskriminiert und verurteilt

Gregor Schorberger, Liebende diskriminiert und verurteilt. Römisch-Katholische „175er“ und ihre Kirche. Stuttgart (Kohlhammer) 2024

Gregor Schorberger hat Biografien homosexueller Männer aufgezeichnet, die unter dem Strafrechtsparagraphen 175 und gleichzeitig unter der Diskriminierung durch die katholische Kirche gelitten haben. Er selbst gehört zu einem der Pioniere der Pastoral mit homosexuellen Menschen. Denn Mitte der 80er Jahre war er als Pastoralreferent und Klinikseelsorger einer der Ersten, der sich der seelischen Nöte der Aids-Kranken in der Frankfurter Universitätsklinik angenommen hat. Dies geschah in einer Zeit, in der offizielle Verlautbarungen der katholischen Kirche die HIV-Pandemie, die zuerst tatsächlich zuerst vor allem homosexuelle Männer betraf, oftmals als Strafe Gottes bezeichnet hat. Homosexuelle Lebensformen verurteilte das kirchliche Lehramt auf das Schärfste. Zeugnis davon legt unter anderem der „Katechismus der Katholischen Kirche“ ab, der 1992 von Papst Johannes Paul II. veröffentlicht wurde und in dem homosexuelles Verhalten als schwere Sünde bezeichnet wurde. Trotz dieser eindeutig negativen Einstellung der Kirche zu Homosexualität hat Schorberger und auch andere mutige Seelsorger:innen sich von ihrem Einsatz für homosexuelle Menschen nicht abhalten lassen. Der Mensch stand für sie stets im Mittelpunkt.

Für Schorberger gilt das bis heute. Sieben bewegende Lebensschilderungen liegen nun vor. Sie zeigen die tiefe Verschränkung des Paragrafen 175, der bis 1994 im Strafgesetzbuch in Deutschland gültig war, mit den Aktivitäten der katholischen Kirche gegenüber geouteten queeren Menschen. Verurteilte „Straftäter“ wurden aus Ämtern der Kirche entfernt, sogar aus Ehrenämtern, obwohl diese „Straftaten“ mit anderen wohl auch damals schon mitnichten zu vergleichen waren, was auch gemeinhin so gesehen wurde. Aber selbst wenn: warum mussten diese Menschen ihre Ämter räumen? Galt eine abgebüßte Strafe nicht als Sühne? Offenbar nicht. Einmal Sünder, immer Sünder, lautete die übrigens unkatholische Doktrin. Nach der gesetzlichen Verurteilung und Strafe folgte nämlich kirchlicherseits oftmals die Diskriminierung, indem diese Menschen aus der Gemeinschaft der Christen systematisch entfernt wurden, oft subtil, oft sehr selbstbewusst von Seiten der Kirchenoffiziellen.

Bemerkenswert ist: Auch wenn diese Fakten wirken wie aus einer längst vergangenen Zeit, ist dies doch so lange noch nicht her. Groß war z.B. der Aufschrei der offiziellen katholischen Kirche zuletzt, als 2017 die „Ehe für alle“ gleichgeschlechtlichen Paaren staatlicherseits ermöglicht wurde. „Irregulär“ galt da immer noch als ikonischer Begriff für die Beurteilung gleichgeschlechtlicher Beziehungen seit der Familiensynode 2015. Bei allen wohlmeinenden Versuchen, einen Segen für gleichgeschlechtliche Paare zu ermöglichen, „irregulär“ bleiben Beziehungen von gleichgeschlechtlich liebenden Menschen bis heute laut kirchlichem Lehramt.

Die beschriebenen Personen im Buch wurden zwischen 1929 und 1951 geboren. Es sind bewegende Lebensbeschreibungen. Einige hat die Ächtung durch Staat und Kirche gebrochen, andere hat sie bewegt, sich zu widersetzen und aktivistisch gegen die Ungerechtigkeit tätig zu werden. Beide Verhaltensweisen haben Spuren hinterlassen in den Seelen der Betroffenen. Unnötigerweise wurde ihre sexuelle Orientierung und die Weise, wie sie Liebe und Leidenschaft leben wollten und konnten, diffamiert als eine der schlimmsten moralischen Entgleisungen, die vorstellbar waren. Dabei schildern einige Zeitzeugen, dass sie von Kirchengemeindemitgliedern mit ihren jeweiligen Lebenspartnern in der Regel akzeptiert und geschätzt wurden. Die Ausschließung aus der aktiven Gemeindearbeit wurde vornehmlich von Pfarrern oder Bischöfen betrieben, oftmals mit dem spitzfindigen Argument, sie würden mit ihrer Lebensform „Anstoß“ in der Gemeinde erregen und den gemeindlichen „Frieden“ stören. Anstößig und unfriedlich fanden hingegen die Menschen in den Gemeinden zunehmend die Kirchenleitenden, wenn sie in dieser Art agierten.

Zeitlebens haben die Betroffenen mal mehr, mal weniger neben der strukturellen Diskriminierung unter einer internalisierten Homonegativität gelitten. Selbstannahme und -liebe war wohl bei den meisten Männern ein schwieriges Unterfangen, zumal sie im Elternhaus und in der Schule in der Regel nur Negatives über Homosexualität hörten. Auch darüber berichten die Betroffenen mal lakonisch, mal dramatisch schmerzhaft. Doch in einem sind die Berichte ähnlich: alle Feindschaft, alle Zurückweisung (auch von Eltern, Geschwistern, Lehrer:innen) vermochten nicht das sichere innere Gefühl, dass das Schwulsein zu ihrer Identität gehörte, zu ersticken.

Nun könnte man abwiegeln und sagen, das sei ja auch kirchlich lange her und man müsse auch verzeihen können. Wirklich? Diese Argumentation fällt schwer, wenn man sich in die von Schorberger einfühlsam geschriebenen Biografien vertieft. Nicht die Vergebung der Betroffenen ist angezeigt, sondern ein klares Bekenntnis der Kirche dazu, dass sie in erheblichem Maße dazu beigetragen hat, dass viele Menschen nie richtig in ihrem Leben ankommen konnten.

Sieben Denk-Mäler hat Schorberger geschaffen. Sieben ist eine symbolische Zahl. Sie stehen für eine viel größere Gruppe von Betroffenen, übrigens auch für Frauen, Trans- und Intergeschlechtliche, die ebenfalls diskriminiert und ausgegrenzt wurden. Sieben ist aber im Katholischen auch eine heilige Zahl. Die Lebensberichte sind Zeugnisse dafür, dass man zwar die soziale Integrität und Seriosität von Menschen zerstören kann. Ihre unbedingte Heiligkeit vor Gott kann ihnen aber niemals genommen werden, noch nicht einmal im Namen der katholischen Kirche.

Gregor Schorberger ist ein einzigartiges Zeugnis gelungen, das es meines Wissens sonst noch nirgends gibt. Der Autor ist auch hier wieder ein Pionier, diesmal bei der Aufarbeitung dieses traurigen Kapitels der jüngeren Geschichte der Kirche.

Dr. Andreas Heek, Arbeitsstelle für Männerseelsorge und Männerarbeit in den deutschen Diözesen, Fachbereich Queerpastoral.


Stichwort: LSBTI

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