Fastenimpuls – Palmsonntag

Hören. In Zeiten von Corona.

Dem Hören wird in der Tradition des Judentums eine große Bedeutung beigemessen. „Höre Israel, der Herr, unser Gott, der Herr ist einzig“, heißt es im Buch Deuteronomium. Und dieses Hören tröstet – damals wie heute. Im heutigen Tagestext spielt das Hören eine große Rolle. Der erste Teil des sogenannten dritten Gottesknechtslied spricht von einem Knecht, dem Gott die Zunge von Jüngern gibt, um Menschen aufzurichten und Ohren, um wie Jünger hören zu können. Er steht in permanentem Hör-Austausch mit Gott. Die Zeilen stehen im großen Zusammenhang des zweiten Teilabschnitts des Prophetenbuchs Jesaja. Der Prophet spricht den Israeliten im babylonischen Exil den Beistand Jahwes aus; sie können hoffen, bald wieder nach Jerusalem zurückzukehren. Was kann das alles für uns heute bedeuten?

Im Grunde ist das Hören, das aktive Hinhören, eine Form von Aufmerksamkeit, wenn nicht sogar die Aufmerksamkeit überhaupt. Der Philosoph Nicolas Malebranche meinte im 17. Jahrhundert sogar: „Aufmerksamkeit ist das natürliche Gebet der Seele.“ Wer aufmerksam ist, hat die Chance, sich selbst dadurch verändern zu lassen. Denn aufmerksam zu sein heißt, aus sich herauszugehen und dem zu begegnen, was nicht man selbst ist. Aufmerksamkeit zeichnet sich dadurch aus, dass wir bereit sind, dem Unverfügbaren zu begegnen, sei dies eine Musikerfahrung oder die Begegnung mit einer Person. Zu oft befinden wir uns in unaufmerksamen Strukturen. Alles ist vorhersehbar und planbar, im Bereich des Verfügens oder des instrumentellen Nutzens. Einen Plan zu haben, wirkt enorm entlastend! Echte Aufmerksamkeit führt mich aber weg von dem, woran ich mich festhalten kann, ich überschreite mich auf den anderen oder das andere hin, das eben nicht nur Teil meines planbaren Verfügungswissens ist.

Nun erleben wir derzeit, wie brüchig alles Plan- und Verfügbare ist, wie schnell sich etwas ändern kann, was zuvor als unveränderlich erschien. Der derzeitige Einbruch des Unverfügbaren nimmt erschreckende, monströse Ausmaße an (so der Soziologe Hartmut Rosa). Wie sich dieses Unverfügbare in Form eines Virus längerfristig auf unser Leben auswirken und wie es uns verändern wird, lässt sich im Moment noch nicht prognostizieren. Doch sollte uns die Situation nicht davon abhalten, aufmerksam zu bleiben für das, was trotz allem, Aufmerksamkeit verdient, unser Gehör verlangt und uns auch jetzt zum Positiven verändern kann: unsere unmittelbaren Mitmenschen, ein Gedanke an die Kranken und Einsamen, Hoffnung schenken – vielleicht auch mit und durch Gott? Was jetzt zählt, ist die Schockstarre zu überwinden und die aufgezwungene Exilzeit als Lernprozess anzunehmen, für uns persönlich und gesamtgesellschaftlich.

Mitten im Trübsal des Exils lässt Jesaja aufhorchen für das Neue, das die Israeliten in einer nie dagewesenen Weise hoffen lässt auf den Trost Jahwes, des Ich-bin-da-für-Euch. Mir macht der Gedanke Mut, dass auch wir Christen aufgerufen sind, auf den Gott zu hören, der aufrichtet und tröstet, damit wir befreit und zuversichtlich in der Welt sein können.

Natürlich taugen solche Gedanken nicht, um konkrete Entscheidungen in schwierigen Situationen treffen zu können. Da zählt kluge Situationsanalyse, Risiko- und Folgenabschätzung, fachliche Expertisen etc. Das aufmerksame Hören soll deshalb kein Plädoyer dafür sein, es sich im Gebet bequem zu machen. Es geht darum, sich zu entscheiden, worin wir uns festmachen wollen: in einer apokalyptischen Schicksalshörigkeit des Untergangs oder in der Zuversicht auf ein besseres Morgen.

Aufmerksames Hören. Worauf richten sich meine Ohren in diesen Tagen?

Autor: Dr. Johannes Lorenz, Biblischer Bezugstext: Jesaja 50,4-7

Übrigens: Informationen über die Autoren der Fastenimpulse finden sich unter https://kath-maennerarbeit.de/autoren-2020/

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