Fastenimpuls – Karfreitag

Leiden und Tod

Wo glatte Antworten nicht mehr tragen

In biblischen Texten, in Psalmen und Liedern, begegnet uns die Tiefe des Schmerzes, den Menschen erdulden müssen und das Scheitern des Versuches, dem Leiden in der Welt einen Sinn zu geben, der den Schmerz eingrenzt oder auflöst. Was in unserer Welterfahrung keinen Sinn macht, suchen wir bei Gott. Aber wir haben nur Worte aus unserer Welt und wir haben nur unsere Vorstellungskräfte, unsere Gefühle, unsere gefühlschwangere Sprache, unsere Poesie, um auszudrücken, wie Leiden mit uns umgeht. Wir haben unsere Erfahrungen mit Menschen, die Leiden und Tod bestanden haben und die Zeugnis ablegen, wie gläubiges Vertrauen in Gott sie verstehen und ertragen lässt. In Mittelpunkt der christlichen Erfahrungen steht das Kreuz des menschgewordenen Gottes selbst. Am Kreuz wird die Menschwerdung Gottes vom letzten Ernst des Todes getragen. (vgl. Phil. 2, 6-11)

Aber auch, wenn das Schiff des Lebens die Segel des Glaubens aufgezogen hat – es gibt Stürme und Stillstand. Im Sturm des Leidens reffen wir die Segel, der Flaute scheinen sie nutzlos. Ausgestattet mit den Motoren des Fortschritts brauchen wir keine Segel mehr. Oder doch? Stehen die Motoren still, wenn eine Pandemie die Welt in Atem hält? Aber ist das Kriegs- und Flüchtlingselend nicht viel schlimmer?

Warum haben so viele Menschen den Impuls zu retten und zu helfen? Solidarisch zu sein? In uns allen steckt ein Kern der Liebe, manchmal ist er zugeschüttet, stählern ummantelt oder verfault. Liebe macht leidempfindlich für das Leid der anderen. Der mittelalterliche Dichter Gottfried von Straßburg schrieb in seinem ganz weltlichen Liebesroman „Tristan“, – eine Liebes-Geschichte, die später Ordensschwestern so faszinierte, dass sie sie  auf ihre Tischläufer stickten – : „Wer nie von Liebe Leid erfuhr, der erfuhr auch Lieb´ von Leiden nie.“ Der tiefe christliche Denker Meister Eckhart, mit dem ich mich viel beschäftige, fasst zusammen: „Liebe bringt Leid und Leid bringt Liebe“. Oder: „In den Tagen des Leides vergiss nicht die Tage der Güte.“

Das wurde für mich Wirklichkeit, als ich mit meiner leidenden und sterbenden Frau eine Woche im Krankenhaus in der gemeinsamen Erinnerung an die „Tage der Güte“ verbringen durfte. Ich habe dabei oft an den Film „Das Leben ist schön“ gedacht und wir haben durch die Nacht leise das „Hallelujah“ von Leonhard Cohen gehört.

Welche „göttliche Tröstung“ lässt Meister Eckhart uns spüren? „Ist mein Leid in Gott und leidet Gott mit, wie kann mir leid sein, wenn Leiden sein Leid verliert und mein Leiden in Gott ist und Gott selbst ist?“ Das ist Eckharts Anfrage an sich selbst, und seine Antwort lautet: „Dass Gott gibt, das ist sein Wesen, das ist seine Güte, und seine Güte ist seine Liebe. Alles Leid und alles Gute kommen von der Liebe.“

„Wo Güte und Liebe sind, da ist Gott“, singt die Liturgie am Karfreitag. Wo das Leid die Liebe nicht verdrängen kann, sondern wo sie im Leiden aufblüht wie eine Blume, die in der Wüste vom Wasser zum Leben erweckt wird, da sind wir nahe an dem umfassenden Erbarmen, das dem Leiden und dem Tod nicht das letzte Wort gibt. Wir können diesem Spüren, das viele Menschen in den schlimmsten Stunden bewegt, nachspüren. Wo unser Denken vom Nebel des Leidens getrübt ist, hört unser Herz nicht auf, zu empfinden und zu hoffen.

Dietmar Mieth

Übrigens: Informationen über die Autoren der Fastenimpulse finden sich unter https://kath-maennerarbeit.de/autoren-2020/

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