Grieser, Der phantasierte Vater

Jürgen Grieser, Der phantasierte Vater, Zur Entstehung und Funktion des Vaterbildes beim Sohn, Brandes & Apsel, Frankfurt am Main 2021

Jürgen Grieser, Psychoanalytiker und Psychotherapeut hat eine erweiterte Auflage zu seinem 1998 erstmals veröffentlichtem Buch geschrieben. Das neue ergänzte Kapitel thematisiert Aspekte, die sich aufgrund des gesellschaftlichen Wandels insbesondere der zunehmenden Pluralisierung familiärer Lebensmodelle ergeben haben.
Der phantasierte Vater ist ein grundlegendes Buch. Es geht um kulturelle Regelungen der Vaterschaft (die Kultur sorgt mit der Einsetzung des Vaters dafür, dass die biologisch begründete Mutter-Kind Gemeinschaft zu einer sozialen Gruppe erweitert wird).

Die Mutter-Kind Dyade öffnet sich hin zum Vater. Dadurch entsteht eine triadische Struktur, auf deren Basis sich das Kind in den symbolischen Raum der Kultur hinein entwickeln kann.  
Intensiv wird in dem Buch das Konstrukt der Vaterimago bei Freud beschrieben. Der Ursprung der Psychoanalyse ist eng mit Freuds Aufarbeitung seiner eigenen Vaterbeziehung verknüpft. Freud entwickelte die Psychoanalyse als eine Methode, unbewusste psychische Vorgänge sichtbar werden zu lassen. Über die gesamte Lebensspanne muss die Auseinandersetzung mit dem inneren Bild des Vaters aktualisiert werden, um Anpassungen an neue Entwicklungen zu ermöglichen.

Die frühe Triangulierung markiert den Schritt zu einer dreidimensionalen kognitiven Organisation der inneren Welt des Kindes. Besonders nützlich ist der Vater dann für das Kind, wer er sich als Partner anbietet. Ein von beiden Elternteilen positiv erlebte und vorgelebte eigene Geschlechterrolle scheint die beste Voraussetzung für die Entwicklung einer guten Geschlechtsrollenidentität bei Söhnen zu sein. Die Herausbildung und Festigung der männlichen Geschlechtsidentität gelingt am besten, wenn die leibhaftige Präsenz des Vaters gewährleistet ist.

Bei verschiedenen Formen der Abwesenheit von Vätern ist mit unterschiedlichen Auswirkungen und Verarbeitungen zu rechnen. Besonders scheint sich die Abwesenheit von Vätern in der frühen Kindheit auszuwirken, ist aber nicht als grundsätzlicher Risikofaktor zu werten. Die Situation ist im Einzelfall zu bewerten. (spez. Sozialisationsbedingungen).

Zum anderen gibt es ein kulturelles Bild des Vaters oder des Väterlichen. Mit der Suche nach väterlichen Vorbildern und der Neuerfindung von Männlichkeitsritualen erhofft man sich, männlichen Jugendlichen Erfahrungen mit Vätern zum Anfassen zu ermöglichen. Nötig ist eine bewusste Auseinandersetzung mit den eigenen Vaterfiguren und ihrem gesellschaftlichen Hintergrund. Der Autor kommt zu dem Resümee, dass aus der Perspektive der Entwicklungspsychologie die Anwesenheit eines emotional anwesenden Vaters wünschenswert und von Vorteil ist.

Das letzte Kapitel in dem Buch ist mit Update 2021 überschrieben. Es beinhaltet einen Überblick über die psychoanalytische Väterliteratur seit 1998. Heute kann man nicht von dem Vater gesprochen werden, sondern es gibt verschiedene Vatertypen, familiäre Konstellationen vor unterschiedlichen kulturellen Hintergründen. Vater sein stellt dabei ein Gegenbild zur Mutter als Frau dar, der Autor schreibt über Vaterlosigkeit und queere Welten.

Fazit zum Buch: Ein vatertheoretisches Buch, dass Entwicklungen der letzten 23 Jahre in Gesellschaft, angereichert mit den persönlichen Erfahrungen des Autors, aufzeigt. Wer sich grundlegend mit Vätertheorien auseinandersetzen will, ein sicherlich lohnendes Buch.


Jürgen Döllmann



Stichwörter: Vater, Vater und Kind, Beziehung

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