Arbeit auf Lebenszeit?
„Das ist aber doch keine Arbeit auf Lebenszeit, oder?“ So schrieb es mir vor wenigen Wochen ein ehrenamtlich engagierter Mann aus einer Pfarrgemeinde, in der ich bis vor einigen Jahren – damals noch als Pastoralassistent – gearbeitet hatte. Im Kirchlichen Amtsblatt der Diözese hatte er gelesen, dass ich meinen Dienst als Pastoralreferent aufgegeben hatte. Er war dann auf meine neue Aufgabe gestoßen. Nun also Referent im Verband. Sein Naserümpfen war zwischen den Zeilen seiner E-Mail förmlich zu erkennen. Offensichtlich hatte er mich anderswo gesehen, wahrscheinlich in der Pfarrgemeinde, auf Dauer. Ich kann darüber nur mutmaßen, denn mehr hat er dazu nicht geschrieben. Nur diese vielsagende Frage am Schluss der E-Mail.
Nun ja, auf Lebenszeit ist meine neue Arbeit, die ich mit viel Freude und Enthusiasmus am 1. Januar angetreten habe, tatsächlich nicht. Aber – und auf die Frage hat mich mein früherer ehrenamtlicher Mitstreiter im Gemeinde-Dienst nun gestoßen: Welche Arbeit ist schon auf Lebenszeit angelegt?
Inzwischen steht ja selbst der lebenslange Dienst eines Papstes in Frage. Lediglich Queen Elisabeth kommt einem in den Sinn, wenn es um lebenslanges Wirken in einem auf Lebenszeit angelegten Dienst geht. Oder? Das hat doch nicht mit dem Unwillen oder gar der Unfähigkeit zur Bindung zu tun. Arbeit, wie wir sie verstehen, ist doch nicht ein oder gar das Lebensprojekt.
Ich habe mich vielmehr gefragt, ob es jenseits der Erwerbsarbeit eine Arbeit auf Lebenszeit gibt. Und viel wichtiger: Mich treibt die Frage um, ob nicht hinter meinen unterschiedlichen Arbeitsfeldern eine eigentliche Arbeit steckt, die ich auf Lebenszeit angelegt habe – und die den kleinen, aber feinen Unterschied zwischen Beruf und Berufung markiert.
Mit Fug und Recht kann ich heute sagen: Ja! So ist es! Keine meiner bisherigen Dienste und Ämter, ob in der Kirche oder anderswo, habe ich als Arbeit auf Lebenszeit verstanden. Auf Lebenszeit verstehe ich aber das, was mich bewegt, antreibt, nicht loslässt: Dienst am Leben, Hilfe zum Leben, Dienst am Nächsten – zu leben, was ich vom Evangelium verstanden habe, wie es Frère Roger einmal gesagt hat. Arbeit auf Lebenszeit ist die Arbeit an mir selbst, so möchte ich es in meinen Worten ausdrücken. Immer besser und mehr zu verstehen, was andere Menschen bewegt, antreibt, nicht loslässt. Davon immer neu zu profitieren.
Wenn ich mich ehrlich prüfe, stelle ich fest, dass auch ich allzu oft vorschnell über berufliche Entscheidungen anderer Menschen urteile, sie geradezu affekthaft bewerte. Dabei kenne ich oft gar nicht die inneren Beweggründe der Menschen, sich für diesen oder jenen Weg zu entscheiden. Und ich sehe oft mehr die Funktion oder gar das Amt als den Dienst. Oft bin ich in Kategorien gefangen, von denen ich mich eigentlich lösen möchte: Respekt zolle ich insgeheim dem, der es auf der Karriereleiter geschafft hat, dessen Ämter ihm Rang und Namen versprechen.
Empfehlen möchte ich zum Schluss einen Roman, den ich jüngst gelesen habe. Er handelt von der Freiheit des Glaubens – jener Freiheit also, die Wege zu gehen, die Andere möglicherweise so oder anders beurteilen möchten, auf die der Geist Gottes mich aber führt. Es lohnt das Wagnis.
Es handelt sich um den Roman „Land sehen“ von Husch Josten aus dem Jahr 2018.
Ein Freiheitsroman, der herausfordert – Gläubige und Nichtgläubige gleichermaßen.
Ich frage mich in meinem Freundeskreis in letzter Zeit immer seltener nach den Gründen für die Wahl bestimmter Berufe. Die Frage hat mich zugegebenermaßen früher einmal sehr beschäftigt. Heute frage ich eher nach dem, was die Freunde auf Lebenszeit anlegen, was sie bewegt, antreibt, nicht loslässt.
Es steigert meine Bewunderung für meine Freunde, mit denen ich das Leben teilen darf.
Tim Schlotmann