Ewert, Trans.Frau.Sein.

Ewert, Felicia, Trans.Frau.Sein. Aspekte geschlechtlicher Marginalisierung. Münster (Edition Assemblage) 22020.

Wie viele Hürden zu einer Inklusion transidenter Menschen zu überwinden sind, beschreibt Felicia Ewert in ihrem Buch „Trans.Frau.Sein“ auf beeindruckende Weise. Sie macht es dem*der Leser*in dabei nicht unbedingt leicht. Denn sie erzählt nicht viel von sich persönlich, womit der*die Leser*in sich der Person der Autorin annähern könnte. Sie mutet zu, dass man*frau ihren Gedanken und Reflexionen nachgeht und sich einlässt auf ein anderes Denken, jenseits binärer Geschlechtlichkeit.

Felicia Ewert gehört zur jüngeren Generation transgeschlechtlicher Menschen, die sich nicht gern verorten lassen auf dem anderen Pol des „Sterns“ Geschlecht. Zwar geht sie den Weg der Transition, aber sie lässt sich nicht vollständig identifizieren mit dem Begriff „Frau“. Sie fühlt sich zwar auch als Feministin und Kämpferin für Frauenrechte. Sie beansprucht aber auch eine eigene Identitätsweise als Trans-Frau. Deshalb ist der Titel des Buches absolut passend, auch mit der Bedeutung der interpunktuellen Gestaltung.

Nicht immer findet Ewert einen Ort der Solidarität bzw. Inklusion jenseits der Trans-Community. Feministinnen wollen sie oftmals nicht in ihren Reihen sehen, wenn diese, wie sie sagt „exklusiv“, also ohne männliche Beteiligung „unter sich“ bleiben wollten. In Männerkreisen fühlt sie sich aber schon lange nicht mehr wohl, naturbedingt durch ihr Gefühl, eben nicht „männlich“ zu sein.

Die Transidenten ecken an, sind unbequem, stören die altgewohnten Denkweisen. Oftmals werden sie nicht verstanden, weil das binäre Denken tief verankert ist im Bewusstsein der Gesellschaft. So ist das Buch eine wertvolle Hilfe für alle, die sich darauf einlassen, ihre eigenen Bilder vom Mann- oder Frausein zu hinterfragen und Raum schaffen wollen für ein erweitertes Denken. Ewert gehört zu jenen, die ihre Gedankenwelt nicht als Appell an die so genannte „Mehrheitsgesellschaft“ formuliert. Sie fordert selbstbewusst und klar eine Existenzweise jenseits eindeutiger Zuschreibungen.

Den Zweiflern an der Notwendigkeit dieser Weitung, die etwa sagen: „Wie wenig Menschen betrifft eigentlich die Gefühlslage der Transidenten?“ (Nämlich sehr wenige, suggeriert die Frage), kann die Gegenfrage vielleicht helfen: Kennst du niemals Zweifel an den dir zugeschriebenen Rollen als Mann oder Frau? Wer sich auf diese Frage einlässt, kann von Felicia Ewert lernen, wie eine theoretisch-lebenspraktische Perspektive jenseits festgelegter Rollenklischees aussehen kann. Die „Ausschließeritis“, von welcher Seite auch immer, vergiftet das gesellschaftliche Klima jedenfalls, so viel kann dem gegenwärtigen Diskurs jedenfalls entnommen werden. Die Ausschließungen einer gefährlichen Identitätspolemik schafft in der Folge Sündenböcke für – dies mag eine psychoanalytisch gewagte These sein – die eigene, vielleicht auch nur klitzekleine Unsicherheit in der eigenen Geschlechtlichkeit, der man durch Diskriminierung einer Minderheit entgehen möchte.

Das Buch gehört in unsere Zeit. Es gehört gelesen, auch und gerade auch von Männern. Warum? Weil es hilft, zu verstehen, wie andere fühlen und weil es ermutigt, das Andere des eigenen Selbst anzunehmen, egal worin dieses „Andere“ besteht. In Kauf muss man*frau nehmen, dass es mitunter anstrengend ist, Felicia Ewerts Gedankengängen zu folgen. Neues Denken ist eben nicht immer leichte Kost. Leider liegt die Notwendigkeit zur Konzentration beim Lesen aber auch etwas daran, dass der Text nicht gut lektoriert worden zu sein scheint. Von den zu vielen und deshalb auffälligen Druckfehlern einmal abgesehen, hätte es einen stringenteren stilistischen roten Faden verdient, der eine klarere Argumentation ersichtlich machte, zumal bei der zweiten, „vollständig überarbeiteten Fassung“, wie auf dem Cover steht.

Aber möglicherweise ist diese Kritik auch der dem Rezensenten eigenen, zu sehr ambiguitätsreduzieren wollenden Denkweise geschuldet? Deshalb soll die kleine Schwierigkeit im Umgang mit dem Buch nicht überwiegen, sondern lediglich eine Anregung dazu sein, dass solch wichtige Themen auch stilistisch und handwerklich sorgsam begleitet werden sollten.

Für alle an Geschlechterfragen Interessierten* kann das Buch als wichtigen Beitrag zur Debatte rundum empfohlen werden.

 

Dr. Andreas Heek

 

Stichwort: LSBTI

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