Palmsonntag

April 2010. Schneebedeckte Berge des Hindukusch leuchten friedlich auf unser Gefechtsfeld im Norden Afghanistans. Seit Tagen kämpfen wir im Raum Baghlan gegen irreguläre Gruppen um die Kontrolle der Verbindung von Kunduz über den Salangpass nach Kabul. Vor wenigen Tagen habe ich dafür an einer Brücke die Leichensäcke von drei gefallenen deutschen Kameraden zugezogen. Krieg fühlt sich zermürbend an.  

Ich sitze zwischen einer Anzahl von bärtigen Ältesten. Der afghanische General hat sie zum Gespräch in unseren pulsierenden Gefechtsstand eingeladen. Zuerst wird gemeinsam gebetet. Eine für mich beeindruckende Geste. Dann spricht er von der Notwendigkeit, junge Leute durch Arbeit und Bildung zum Frieden zu führen. Sie sollen ihr Geld nicht mehr mit der Waffe in der Hand verdienen müssen.

Nach rund einem Monat ununterbrochener Gefechtstätigkeit verlassen wir etwas müde diesen Raum. Das Schattenregime der Taliban bleibt zurück. Die unzureichende Hilfe einer nicht kontrollierbaren Anzahl von Hilfsorganisationen hat für die Jugend von Baghlan keine Wirkung gezeigt.

August 2021. Die Taliban haben mit ihrer Ideologie die Macht übernommen. Alle leiden. Wofür Krieg, wofür Blutrache, wofür Trauer und zerfetzender Tod? Ich hoffe immer noch, dass der von uns gepflanzte Freiheitskeim irgendwann helfend aufgehen wird.

Februar 2022. Russland greift nach unvorteilhaften Verhandlungen die Ukraine an. Militär wird als Mittel der Politik eingesetzt. Der Tod schafft Grauen in Familien beider Seiten. Einseitige Parteinahme und die Lieferung todbringender Waffen ohne glaubhaften Verhandlungsdruck erschrecken mich. Waffen sollen entscheiden. Warum nicht interessenbezogene Gespräche mit friedvollen Botschaften?

Und heute? Ohne eine erarbeitete Lebensgrundlage, ohne staatlichen Schutz und ohne friedensbereite Herzen wächst kaum menschenwürdiges Leben. Gewinnt nun in mir eine fördernde Liebe oder die herrische Macht? Frieden in Freiheit muss man sich als Mensch und als Staat oft hart erarbeiten. Immer wieder. Bin ich dazu bereit? Ohne Überheblichkeit und mit interkulturellem Verständnis? Kann ich lernend abgeben und Machtverhältnisse ertragen? Will ich zuhören und dann reden? Soll ich kompromissbereit verhandeln oder hart zuschlagen? Oder beides?

Ich suche real ertragbare Antworten. Das fällt mir seit Afghanistan schwer. Ich schwanke. Im Bewusstsein meiner Verantwortung vor Gott und den Menschen. (so die Präambel des Grundgesetzes)

Autor: Ferdinand Baur, Oberst a.D., ehem. Berufssoldat bei der Fallschirmjägertruppe der Bundeswehr

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