Frerichs, barfuß und wild

Jan Frerichs, barfuß und wild. Wege zur eigenen Spiritualität, Ostfildern (Patmos) 2018

Wenn ich im Literaturverzeichnis nachschaue, welche Autoren Jan Frerichs in seinem spirituellen Buch rezipiert, erkenne ich schon: hier sendet jemand auf einer ähnlichen Wellenlänge wie ich. Franz Jalics, Dorothee Sölle, Christian Herwartz, Papst Franziskus (Laudato si), besonders auch der Biologe und Philosoph Andreas Weber, und viele mehr alte und neue Bekannte geistlicher Literatur der Kontemplation. Frerichs schreibt mir aus dem Herzen, will ich damit sagen.

Ich schreibe dies so persönlich, weil man so (vielleicht nur so) gut Zugang zu diesem Buch bekommt: persönlich. Und so ist es ja auch wohl vom Autor gemeint. Es atmet eine Spiritualität, die weit über das hinaus geht, was im kirchlichen Kontext liturgische Vollzüge in ihrer festen, ich hätte fast geschrieben, starren Form vermögen. Es wird hier zu einer Spiritualität ermuntert, die die gesamte Schöpfung als Raum des Göttlichen „ausschöpft“. Franziskanisch geprägt, ist Frerichs Anleitung zur Kontemplation natur- und lebensnah, wie ein blühender Baum. In solch weit gelebter Spiritualität kann sich der Mensch finden – und wenn er will oder kann, kann er diese Erfahrung dann „Gott“ nennen. Frerichs unternimmt es, eine moderne, an das Lebensgefühl der Heutigen anschlussfähige Spiritualität zu vermitteln, die die tiefsten Sehnsüchte des Menschen berühren: nach Ganzheit, innerem Frieden und Integrität im Umgang mit anderen Menschen und der gesamten Schöpfung.

Zugegeben, der Autor fügt dem Bekannten initiatorischer Spiritualität nichts wirklich Neues hinzu. Aber es darf und muss eben immer wieder anders und immer neu gegen die Erstarrung christlich-religiöser Rituale des „Richtigen“ und „Authentischen“ angeschrieben werden. Denn die reiche Religiosität des Christlichen droht zu verarmen, wenn sie beschränkt bleibt auf Kirchenräume, Hierarchien und die schier nicht enden wollenden Diskussionen z.B. um die richtige Disposition oder Konfession zum Empfang der Eucharistie.

Frerichs hingegen räumt auf mit einem starren Gottesbild des überlegenen Weltenlenkers und lenkt den Blick auf den Schöpfer des „Chaos“, aus dem von sich aus (Andreas Weber) Ordnung entsteht. Manchmal aber auch wieder Unordnung. Dies ist vielleicht der innovativste Gedanke in Frerichs Buch: ein Gott der Improvisation, nicht des rationalen Weltenschöpfers. Sein Vatergott ist dem eines irdischen Vaters ähnlicher als einem stilisierten Gott-Vater: er zeichnet ihn wie den eines großen Improvisators, der aus Gegebenen das Bestmögliche macht. So wie Väter und Mütter dieser Erde das eben auch machen. Er skizziert die Sohnschaft Gottes als eine Übergangszeit zwischen Kindheit und Erwachsenwerden, bei dem Jesus Christus durch seine stets wache Gegenwärtigkeit in der Begegnung mit anderen Menschen zeigt, dass Glauben nicht Zustimmen zu Sätzen ist (Jesus hat ja selbst gar nichts Geschriebenes hinterlassen), sondern Vergegenwärtigung von Metamorphosen, die den Menschen „groß“ im Sinne von erwachsen machen. Und schließlich steht der Geist für die Kreativität im wahrsten Wortsinn. „Heiliger Geist“ ist „Erntedank“ für alles, was der spirituell Suchende an innerem Reichtum „erworben“ hat und weitergibt. Geistlich ist dann jemand, der aus der Fülle gelernt hat zu leben und der dankbar jedem Neuen neugierig und zuversichtlich begegnet.

Die drei Wesenheiten Gottes in der christlichen Theologie macht Frerich so mit modernem Lebensgefühl anschlussfähig. Er erkundet Möglichkeiten einer Spiritualität des „Nun“ (Meister Eckhart), nach der sich viele Menschen sehnen und leider in der Kirche oft keine Angebote dazu finden.

Das Buch ist auch ein Männerbuch. Aber es ist es nicht nur. Frerich arbeitet hier an einer Spiritualität, die Frauen und Männer zugleich in eine erdnahe Kontemplation hineinzieht. Sauber bleibt man nicht dabei, wenn man die Schuhe auszieht und barfuß geht. Aber man reinigt seine Seele, wenn man eintaucht in diese wunderbare franziskanisch-erdige Spiritualität. Mehr von solcher geistlichen Literatur, und die Vision von Papst Franziskus von einer geerdeten Kirche muss kein Traum bleiben. Dann riechen alle Menschen nach Schaf, Schafgarbe und Lavendel – und nicht mehr nur nach Weih- und Kerzenrauch.

Dr. Andreas Heek

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