Einmal König sein?
Ein Mann schrieb mir: „Erst muss das Ego in Scherben fallen, damit Heilung möglich wird.“ Was für eine Aussage! Viele brauchen ein halbes Leben oder noch länger, um zu so einer Aussage zu gelangen – andere vielleicht sogar mehr als ein Leben.
Im Leben des Mannes, der diesen Satz schrieb, war einiges im wahrsten Sinne in Scherben gegangen: eine Ehe, eine Familie, auch ein Beruf. Nicht alles auf einmal. Nacheinander. Er hatte sich mit Händen und Füßen gegen sein Scheitern gestemmt – im Sinne seines Satzes: sein Ego hatte sich mit aller Kraft gegen sein Scheitern gestemmt – bis ihm nichts anderes mehr blieb als aufzugeben: Schluss mit dem Kämpfen, es hat keinen Sinn mehr. Zum Glück hat er in dieser Notsituation seinem Leben kein Ende gesetzt. Er hat sein Scheitern ausgehalten, durchlitten, ertragen – und dann allmählich gefühlt, dass es „danach“ weiter geht. Und er hat seinen Frieden gefunden – sonst hätte er diesen Satz nicht schreiben können: „Erst muss das Ego in Scherben fallen, damit Heilung möglich wird.“
Die Überschrift, die die Herausgeber für diesen Sonntag vorgegeben haben, lautet: Einmal König sein? Sie verweist auf Lukas 19,28-40, wo Jesus auf einem Esel in Jerusalem einzieht und als König gefeiert wird – als ein König, der am Kreuz endet.
Einmal König sein: das scheint für unsere Erfahrungswelt wohl nur mehr gebrochen möglich zu sein: Rio Reisers „König von Deutschland“ ist nur ironisch verstehbar, David Bowie singt in „Heroes“ auch von „I will be king“ – um dann fortzusetzen: „just for one day.“
Gestern hörte ich zum ersten Mal Udo Lindenbergs „König von Scheißegalien“ und dachte: das klingt ja etwas geschmacklos, trifft aber offenbar genau das, worum es hier auch geht: erst wenn das Ego kaputtgeht, geschieht so etwas wie Heilung. Oder – um diese Einsicht auf das Königsthema zu beziehen -: erst wenn der falsche König gestorben ist, der Ego-König, kann der wahre König überhaupt erst hervorkommen oder: auferstehen. Udo Lindenberg höre ich, seit ich 13 bin – dass er nun, im Alter, so ein großartiges Lied schreiben kann, respektiere ich sehr! Bitte einmal diese Lektüre unterbrechen und hineinhören: https://www.youtube.com/watch?v=LTe_Fi6MgsE
Im Grunde ist Lindenbergs Lied ein wunderbarer Kommentar zu dem Satz von den Scherben und von der Heilung, siehe oben. Richard Rohr nennt diese beiden Zustände „falsches Selbst“ und „wahres Selbst“: „Ihr falsches Selbst ist das, wofür Sie sich halten. Es ist fast vollständig ein gesellschaftliches Konstrukt… Ihr Ego-Behältnis möchte geschlossen bleiben und hasst jede Veränderung… Das falsche Selbst muss sterben, damit das wahre Selbst leben kann… Eine reife Religion hilft, den Sterbeprozess des falschen Selbst zu beschleunigen“(Zitate aus: Das Wahre Selbst – werden wer wir wirklich sind, 2013). Das wirft ein völlig neues Licht auf unsere Scheiternserfahrungen: sie können dabei helfen, unserem „Ego-Behältnis“ Risse zuzufügen.
Eine reife Religion: Jesus geht den Weg nach Jerusalem. Er wird zum König, aber zu einem gebrochenen König, zum König am Kreuz. Reife Religion erkennt gerade darin den wahren König. Und wir können uns in ihm wiedererkennen und so auch zu wahren Königen werden. Was für ein Paradox! So verhilft der Blick auf den gebrochenen Gekreuzigten zu wahrem menschlichem und männlichem Leben. Offenbar liegt genau darin das Geheimnis von Palmsonntag, Karfreitag und Ostern verborgen.
Bernd Schlüter