„Unsere Sehnsucht ist wie ein Brunnen, dessen Tiefe der Größe Gottes gleicht, also endlos ist. Dies wollte Gott selbst so, damit sich die Bewegung des Menschen auf ihn hin nicht erschöpfe.“ Philippe-Emmanuel Rausis, Das Mysterium bewohnen. Echter-Verlag, S. 116
Hunger spüren wir erstmals ein paar Stunden nach der Geburt. Wir realisieren die Trennung von der Mutter, unserer Nahrungsquelle, Hort der Geborgenheit. Zurück an ihrer Brust, wohlig saugend, erfahren wir beides: wie unser physischer Hunger befriedigt wird und unser Wunsch nach Wärme, Geborgenheit, emotionalem Halt. Beides geschieht – kaum voneinander lösbar – in dieser Urszene unserer frühen Kindheit ganzheitlich – wir werden umfassend „gestillt“.
Es ist deshalb kein Wunder, wenn im späteren Leben unser Essverhalten eng mit unseren Emotionen verbunden bleibt. Da wir nicht mehr in das ganzheitliche, intrauterine Paradies der Mutter zurückgelangen, bleiben wir unerfüllt und tragen – jeder anders – diese „Unersättlichkeit“ durch das Leben. Wir erleben uns als „Mangelwesen“ und müssen damit umgehen. Nicht jedem gelingt das. Manche suchen emotionale „Stillung“ in Süßigkeiten und maßlosem Essen. Sie schleppen mit dem Übergewicht schamvoll ihre Unerfülltheit durchs Leben. Andere bekunden das existentielle Nein zu sich selbst in lebensverweigernden Essstörungen wie Bulimie und Anorexie.
Ich beobachte den Zusammenhang von Hunger und Emotionen bei mir selbst. Ob mich der Bäckerstand am Bahnhof morgens mit seinen verführerischen Gerüchen „anmacht“ oder nicht, ist abhängig von meiner Tagesform. Habe ich unangenehme Aufgaben vor mir, bin ich voll Tatkraft und Zuversicht, wäre ich am liebsten zu Hause geblieben? Es gibt einen „emotionalen“ Hunger aus Unerfülltheit, Unruhe, dem Wunsch nach Tröstung und Nähe, der sich unmittelbar im physischen Hunger äußert. Und es gibt Hochstimmungen wie Verliebtheit, Wiedersehensfreude, Zufriedenheit über ein Werk, wo der Hunger nicht auftaucht. Es ist sehr aufschlussreich, das Auf und Ab der Emotionen zu beobachten und wie es sich physisch äußert. Wenn es mir gelingt, dem Impuls nicht gleich nachzugeben, verschwindet der emotional angetriggerte Hunger wie jede andere Emotion auch nach einem normalen physiologischen Zyklus. So kenne ich es aus der Kontemplation. Man sitzt und verankert seine Aufmerksamkeit in einem Wort oder im Atem. Die Emotionen, Verspannungen, Schmerzen kommen derweil, werden kurz wahrgenommen, aber sie gehen auch wieder.
So verstehe ich auch den rätselhaften Satz des Evangeliums „Als er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, bekam er Hunger.“ Offenbar hatte Jesus in der Kernzeit seiner Wüstenerfahrung, während jener symbolisch zu nehmenden „vierzig Tage“, keinen Hunger. Ich schließe daraus, dass es eine Zeit der Innigkeit in der Nähe des „Vaters“ war, die ihn in dieser ganzheitlichen Weise erfüllt, „gestillt“ sein ließ. In der Begegnung mit dem Teufel betont Jesus dann das mentale und emotionale Verständnis von Hunger: „Der Mensch lebt nicht nur vom Brot, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt.“ Was den Menschen sättigt, geht über das Physische hinaus. Das war Jesu Erfahrung aus den vierzig Tagen, es wird die Erfahrung seiner Nächte auf dem Berge sein. Und er vermacht sie später seinen Jüngern, als er das Brot bricht, das eine göttliche Stillung auf dem Wege sein soll.
Natürlich bleibt der Hunger unser Lebensbegleiter. Hunger zeigt zunächst, dass wir gesund sind, wer keinen Hunger hat, ist krank. Zugleich zeigt uns unser existentieller Hunger nach Liebe, nach Gesehen werden, nach Erfüllung unsere bleibende Unerfülltheit, man könnte auch sagen, unsere Sehnsucht. Sie ist tief wie ein Brunnen. Keine menschliche Befriedigung wird die Tiefe unserer Sehnsucht ganz erfüllen können, unsere Unersättlichkeit ganz stillen. Das ist der initiatisch-asketische Sinn des Fastens: dass wir auf unmittelbare Sättigung und Erfüllung unserer Sehnsucht verzichten. Um uns dem Bewusstsein zu öffnen, dass eine andere Erfüllung aussteht. Das entspannt ungemein. Ich muss nicht im Partner die absolute Erfüllung finden, ich muss sie nicht im Urlaub erleben, nicht im Besitz, nicht im Erfolg.
Im Hunger begegne ich meiner existentiellen Unersättlichkeit und meiner Sehnsucht. Ich schaue in ihre Tiefe und erkenne ihre Größe. Sie entspricht und korrespondiert mit jener Wirklichkeit, die allein groß und tief genug ist, meine Unersättlichkeit, meine Sehnsucht zu stillen.
EVANGELIUM Mt 4,1-11
1 Dann wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt; dort sollte er vom Teufel in Versuchung geführt werden.1
2 Als er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, bekam er Hunger.
3 Da trat der Versucher an ihn heran und sagte: Wenn du Gottes Sohn bist, so befiehl, dass aus diesen Steinen Brot wird.
4 Er aber antwortete: In der Schrift heißt es: Der Mensch lebt nicht nur von Brot, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt.
5 Darauf nahm ihn der Teufel mit sich in die Heilige Stadt, stellte ihn oben auf den Tempel
6 und sagte zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so stürz dich hinab; denn es heißt in der Schrift: Seinen Engeln befiehlt er, dich auf ihren Händen zu tragen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt.
7 Jesus antwortete ihm: In der Schrift heißt es auch: Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht auf die Probe stellen.
8 Wieder nahm ihn der Teufel mit sich und führte ihn auf einen sehr hohen Berg; er zeigte ihm alle Reiche der Welt mit ihrer Pracht
9 und sagte zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest.
10 Da sagte Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn in der Schrift steht: Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen.
11 Darauf ließ der Teufel von ihm ab und es kamen Engel und dienten ihm.
Klaus Hofmeister, geb. 1960, Dipl.-Theol., Redakteur für Kirche und Religion im Hörfunk des Hessischen Rundfunks.
Ein Angebot zur Ergänzung:
Klostertage für Männer bei den Zisterziensern in der Abtei Marienstatt (Westerwald)
7.-9. April 2017 (Wochenende Palmsonntag)
Im Zisterzienserkloster Marienstatt nehmen wir an den Stundengebeten teil. Dazwischen ist Zeit für Gespräche zur Spiritualität und Lebensgestaltung von Männern. Der andere Zeitfluss des „ora et labora“ bietet die Chance, sich auf das persönlich Wichtige zu besinnen – gerade in der Zeit vor Ostern. Die Unterbringung erfolgt in Einzel-Zimmern.
Für die Gruppengespräche stehen Dr. Prömper als Leiter und nach Vereinbarung ein Benediktiner zur Verfügung.
Die Themenabsprache ist im Vorfeld per E-Mail möglich.
165 Euro (ohne Kosten der Hin- und Rückfahrt)
Veranstalter/Anmeldung (Änderung gegenüber den Vorjahren!): Referat Erwachsenenseelsorge im Bistum Mainz, Bischofsplatz 2, 55116 Mainz
E-Mail: ews-anmeldung@bistum-mainz.de
Telefon: 06131/253-255 (-264)
Informationen zu Inhalt und Ablauf bei Dr. Hans Prömper (Pädagoge und Theologe im Ruhestand, Seminarleiter, Lehrbeauftragter), E-Mail: proemper@em.uni-frankfurt.de