Pickert, Prinzessinnenjungs

Nils Pickert, Prinzessinnenjungs, Wie wir unsere Söhne aus der Geschlechterfalle befreien

Beltz Verlag, Weinheim 2020

 

Der freie Journalist und Autor zog sich 2012 aus Solidarität für seinen fünfjährigen Sohn einen Rock an und damit für mediales Aufsehen gesorgt. Hintergrund für das Schreiben dieses Buches ist ein von ihm beobachteter blinder Fleck, nämlich dass in der Gesellschaft von einer jungenspezifischen Geschlechtsidentität ausgegangen wird. Wir haben feste Erwartungen an die Geschlechterrollen, die Jungen zu erfüllen haben. Noch immer sollen sie stark sein, ab einem gewissen Alter lieber nicht mehr weinen und keine Röcke tragen. Er plädiert für eine Erziehung abseits dieser Erwartungen: jeder Junge darf er selbst sein und muss sein Rollenverständnis nicht auf der Größe eines DIN A 4 Blattes entwickeln. Jungen verdienen es, ihre Träume, Hoffnungen und Eigenschaften, die vielleicht als unmännlich gelten, zu leben. Das bedeutet, in allen Lagen nicht zu fragen „Wer bist du?“, sondern mehr zuzuhören und darauf zu achten, wie sich jemand beschreibt. Beispielsweise vermittelt das Spiel mit Puppen Fähigkeiten wie soziale Interaktion, Kümmern, Pflege, Verantwortung. Einen mitfühlenden und verletzlichen Jungen gilt es zu unterstützen und nicht auszugrenzen oder umzuerziehen.

Was gibt und der Autor an Hinweisen zur Erreichung dieses Ziels mit? Geben Sie Gegenständen, Farben und Verhaltensweisen kein Geschlecht. Erzählen Sie ihren Söhnen nicht, dass sich dieses oder jenes nur für Mädchen sei und sich für Jungen nicht schicke. Jungen werden mit vielen Signalen konfrontiert, wie sie zu sein haben und was Männlichkeit bedeutet. Wir sollten den Jungen die Chance geben, ihre eigene Vorstellung von Männlichkeit zu entwickeln. Und wir alle sollten über gelingende Männlichkeit zu sprechen und aufhören zu meinen, dass sich Männlichkeit von selbst ergibt. Die Fixierung auf Leistung zu kritisieren und zugleich Leistungsbereitschaft abzuverlangen ist ein sehr uneindeutiges Signal. Diese Appelle an unsere eigene Eigenverantwortlichkeit nehmen allerdings für meinen Geschmack einen zu großen Stellenwert in den verschiedenen Kapiteln ein. Ich würde mir die Vorschläge konkreter wünschen und nicht nur oft von einer Stärkung von Identität und Selbstbewusstsein zu sprechen. Praktisch kommt es nach der Analyse doch auf die Umsetzung durch jeden Einzelnen an. Und welche Apelle richtet er konkret an wen? Er schreibt zwar, dass wir noch nicht soweit seien und gibt Handlungsempfehlungen wie Liebe, Spaß, Anwaltschaft und Identität.

 

Sehr gut gefallen hat mir der kompromisslose Umgang mit Homosexualität, die der Autor als für ihn nicht verhandelbar beschreibt. Pickert schildert eine Situation mit seinem Sohn und dessen Freunde im Auto. Einer benutzt “schwul” als Schimpfwort, Pickert hadert mit sich und überlegt, ob er nun was sagen soll oder nicht. Denn er will seinem Sohn den Tag nicht verderben. Am Ende ist das Thema aber eben doch zu wichtig und er erklärt, warum das nicht in Ordnung ist.

Das Thema Gewalt bekommt viel Raum. Es geht darum, wie normal wir gewalttätige Jungs und Männer finden, um die Gewalt, die Männer Frauen antun, um die, die Männer Männern antun und natürlich auch um die, die Frauen Männern antun. Zwar dürfen Jungen wütend werden. Aber niemand ist zu gewalttägigen Übergriffen berechtigt. Und das gilt für alle.

Immerhin, bei all diesen Themen behält der Autor die Zahlen und Machtgefälle im Blick und versucht nicht, Gewalt gegen Frauen klein zu reden.

 

Das Buch ist ein Plädoyer -aber kein Handlungsleitfaden- für die Freiheit von Geschlechterrollen in der Erziehung von Jungen. Und so kommt er dann auch zu dem Resümee:  Es gibt eine unendliche Vielfalt an Wegen vom Jungen zum Mann. Jungen verdienen, gesehen zu werden, so wie sie sind. Sie sind jede Mühe wert, die wir auf uns nehmen können.

Jürgen Döllmann

 

Stichworte: Jungen, Männlichkeit, Vater und Sohn

 

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