Diana Lengersdorf, Toni Tholen, Männlichkeiten und Naturverhältnisse, Campus Verlag, Frankfurt am Main 2024
In dem Sammelband Männlichkeiten und Naturverhältnisse wird in verschiedenen Aufsätzen das Thema Männlichkeiten und Natur beschrieben. Der Mensch mit seinen körperlichen Eigenschaften wird als Teil des Naturgeschehens betrachtet. Es gibt eine tief verwurzelte Herrschaft des menschlichen/ männlichen Subjekts über die Natur. Deutschsprachige Männlichkeitsforschung sollte daher das bereits existierende Forschungsfeld Care/ Männlichkeiten auf mehr als menschliche Verhältnisse ausweiten. Beispielsweise werden im Diskurs über die Klimakatastrophe alltägliche Praxen wie extensiver Fleischkonsum und Zerstörung natürlicher Ressourcen mit Männlichkeit sowie scheinbar männlichen Eigenschaften wie Zerstörung, Ausbeutung in Verbindung gebracht.
Diese Ambivalenzen im Verhältnis von Männlichkeit und Natur findet sich in den verschiedenen Beiträgen wieder. Zunächst geht es um das literarische Werk von Karl Ove Knausgård. Die Natur wird mit Gott gleichgesetzt und dadurch männlich gegendert. Und er versucht zu erklären, wie sein Vater so patriarchal geworden ist und will bei sich erkunden, was davon auch noch in ihm steckt. Dies passiert in zwei Linien, in denen Männlichkeit im Verhältnis zur Natur beschrieben wird: 1. Natur als eigene Energie und Herrschaftsleistung und 2. Partizipatorische Verhältnis, wo das Subjekt sich wieder zurücknehmen kann in den sozialen Kontext.
Leonie Silber beschreibt nach einer Erzählung von Philipp Schönthaler über das männliche Naturverhältniss und das Hochgebirge. Das Bergsteigen wird zu einer sportlichen Körperpraxis, das männliche Relationen von Hierarchie und Exklusion bereithält.
Unter der Parole Forschung und Entdeckung brachte diese Entwicklung eine Generation von Alpenreisenden hervor, den maskulinen Typus des Abenteurers, der in den Kampf um die Eroberung der höchsten Alpengipfel trat. Bergsteigen wird als sportliches, hegemonialmännliches codiertes Modell der nachmodernen Lebensführung gesehen. Als Beherrschung des Naturraums der Berge als auch des männlichen Körpers.
Ursula Matschke Aufsatz „partnerschaftliche Gewalt – männliche Opfer und Gewalterfahrungen“ beschreibt, dass Männer, die Gewalt erfahren haben, gerade von ihrer Partnerin, in emotionale Widersprüchlichkeiten verwickelt werden. Einerseits gelten sie körperlich als die Stärkeren, aber wie passt der Opferstatus zur propagierten Männlichkeit? Das Zugeständnis einer Gewalterfahrung bedeutet für Männer eine Problematik, da es ihrer Natur als Männer in der eigenen und Fremdwahrnehmung widerspricht. Männer sind im Selbstbild stark und wehrhaft, Männer haben Angst, dass man ihnen bei einer Gewalterfahrung nicht glaubt. Es wird zukünftig darum gehen, Resilienzmodelle zu entwerfen, um jenseits genderasymmetrisch polarisierten Zuschreibungen Individualität und Veränderung zuzulassen.
Ina Henke und Irene Husser beschreiben in ihrem Beitrag Mythos von Männlichkeit in popkulturellen Erzeugnissen, dass viele um 1800 entstandenen negativen Männlichkeitsdiskurse leben auch heute fort Die US-Populärkultur ist seit jeher Schauplatz der Verhandlung von Männlichkeiten. Ein Diskurs über Männlichkeit findet seit der Frühmoderne bis in die Gegenwart maßgeblich über die Natur als Wildnis statt. Nina Holschuh beschreibt in „Höfische Epik im deutschsprachigen Hochmittelalter“ Idealtypische Männlichkeitskonfigurationen. Sie weisen gemeinsame Dynamiken wie das Streben nach Ehre, eine grundsätzliche Gewaltfähigkeit sowie Modi der Unterwerfung auf. Bei der Siegfried Sage kreuzt sich die Symbiose von Heros und Tier mit heroischer Naturunterwerfung. Hegemonalität adeliger Männer werden stabilisiert, die damit verbundenen sozialen Hierarchien werden als Teil der natürlichen Ordnung interpretiert.
Der Sammelband hat mir das Thema Männlichkeiten und Naturverhältnisse in einer historischen, anthropologischen und literarischen Herangehensweise näher gebracht Die unterschiedlichen Aufsätze zeigen für mich viele neue spannende Aspekte und Zugänge.
Jürgen Döllmann
Stichworte: Männlichkeit