Doppe, Holtermann (Hg.), Vom Scheitern, Zweifeln und Ändern


Blu Doppe, Daniel Holtermann (Hg.), Vom Scheitern, Zweifeln und Ändern – Kritische Reflexionen von Männlichkeiten, Unrast Verlag, Münster, 2021

Der Sammelband nähert sich dem Thema aus 15 verschiedenen Perspektiven. Zentrales Anliegen ist dabei, aufzuzeigen, wo und wie geschlechtliche Machtstrukturen offensichtlich sind und subtil fortbestehen. Der Ausgangspunkt ist die Frage, warum sich eigentlich so wenige Männer für die Gleichberechtigung aller Geschlechter einsetzen, wenn doch die Ungerechtigkeiten so offensichtlich sind? In diesem Buch wird versucht, neben der Beschäftigung mit einer biografisch-persönlichen Herangehensweise an das Thema „Männlichkeit“ auch Platz für eine analytisch-forschende Herangehensweise zu gehen. Sonst werden zentrale Aspekte des Zusammenhangs zwischen gesellschaftlichen Strukturen (z.B. Arbeitsmarkt), dem Privaten (Familie) und dem Geschlecht (Kategorisierung als männlich oder weiblich) oft außer Acht gelassen. Ungleichheit und Privilegierungen sind aber keine persönlichen Umstände, sondern Konsequenzen struktureller Machtbeziehungen.

Falls sich Männer für Selbstreflexion und ein Handeln gegen Sexismus entscheiden, gibt es zwei Motivationslinien: einerseits eigenes Leid erkennen, zum anderen Erkennen des Leids bei anderen Männern. Daraus leitet sich eine Handlungsbereitschaft ab.
Voraussetzung für Veränderungen ist also die Beschäftigung mit den eigenen Privilegien. CIS Männer haben auch Nachteile, werden aber nicht diskriminiert. Frauen und andere (FLINT= Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre und trans Personen) haben nichts von den Nachteilen, die Männer im Patriarchat erleben.
Dabei werden in dem Sammelband auch Fragen „Wie sieht ein Rahmen aus und wie läßt sich Platz schaffen für eine Auseinandersetzung mit Geschlechtsanforderungen und dem eigenen Verhalten?“ gestellt. Es geht in dem Buch vor allem darum, CIS Männern Anregungen und neue Perspektiven für eine Auseinandersetzung zu geben, Reflexionen und Perspektivverschiebungen sollen anstoßen werden.

Das Buch ist in die Bereiche Scheitern, Zweifeln (Erschrecken über die Geschlechtsanforderungen) und Ändern aufteilt. Beim Scheitern geht es um die Frage, ob Männerseminare nicht teilweise nicht männlichkeitsstabilisieren sind, da sich Männer oft nur mit der Frage auseinandersetzen, wie sie noch Männer sein können, anstatt das eigene Geworden Sein in ihre politische Auseinandersetzung miteinzubeziehen. Da das Geschlecht gelernt ist, stellt sich die Frage nach einer Verantwortung für die eigenen Privilegien und einer intersektionalen Auseinandersetzung. Dazu gibt es Tipps und konkrete Hinweise für den Alltag: Weniger reden, wenn ich etwas sagen will, noch warten, ob nicht jemand anderes etwas sagt, weniger Platz im öffentlichen Raum einnehmen. In dem Bereich Zweifeln finden sich verschiedene Aufsätze zu dem Themen Alkohol und Männlichkeit, Care Arbeit und gewaltbetroffene Männer. Im letzten Bereich Ändern wird festgestellt, dass Männlichkeit immer in Relation zur Weiblichkeit gesehen werden muss. Heute werden ehemals als weiblich geltende Eigenschaften und Verhaltensweisen in ein modernes Bild von Männlichkeit einbezogen (Bsp. Fürsorglichkeit, Zärtlichkeit etc.). Dadurch erfährt man als Mann keine Anerkennung von Männern. Der Zuspruch erfolgt häufig von Frauen. Männer befinden sich also in einem Dilemma zwischen erlernten traditionellen Männlichkeitseigenschaften und dem modernen Anspruch, als reflektierter Mann gleichberechtigt mitzuwirken. Es braucht viel Mut, uns die Verletzlichkeiten einzugestehen und sie zu kommunizieren. 

Wir sollten uns fragen, wie Privilegien dekonstruiert werden können. Dazu braucht es Kritikfähigkeit der Männer und offene Diskussionsräume, nicht nur im öffentlichen, sondern auch im privaten wie in der Familie. Männer müssen sich zu Männlichkeitsidealen verhalten
„Es ist nicht damit getan, mal den Müll rauszubringen, sondern es geht darum. Sich langfristig, ernsthaft und produktiv in ein emanzipatorisches Miteinander einzubringen“.

Als ein wichtiger Bestandteil für Änderungen wird dem Thema Sorge zugeschrieben. Je früher Jungen damit beginnen dürfen und können, desto selbstverständlicher, normaler fühlt es sich dann an. Sorgearbeit muss ein integraler Bestandteil des Lebens werden, für alle Geschlechter. Ein erster Schritt ist es, sich bewusst zu machen, was Care Arbeit eigentlich ist. Es geht dabei für Männer nicht um Unterstützung und Mithilfe, es geht um Verantwortung und Eigenständigkeit. Care Arbeit wird als private Angelegenheit betrachtet und damit unsichtbar gemacht. Ich muss mich selbst verändern, damit sich auf lange Sicht Gesellschaft verändern kann, aber auch die gesellschaftlichen Verhältnisse ändern, damit Sorgearbeit übernommen werden kann. Also in beiden Richtungen. Voraussetzung ist, dass wir anerkennen, dass eine faire Verteilung und Anerkennung von Sorgearbeit die Voraussetzung für eine gleichberechtigte Gesellschaft ist.

Alle Menschen in Deutschland haben relativ klare Vorstellungen davon, wie ein Junge oder ein Mann zu sein hat. Und die lernen Jungen im Rahmen ihrer Sozialisation.- Jungen können sich damit identifizieren und sie annehmen oder ich kann versuchen, sie zu ändern. Auf der individuellen Ebene ist das oft für Jungen und Männer nachteilig, aber auf der gesellschaftlichen Ebene hat das viele Vorteile. Man kann als Mann individuell Schritte gehen, gesellschaftlich kann es aufgrund von Geschlechteranforderungen aber zu Sanktionierungen kommen.
Ein wichtiger Sammelband mit vielen Anregungen für Alle, die sich politisch- kritisch mit Männlichkeiten auseinandersetzen wollen.


Jürgen Döllmann

Stichwörter: Lebenshilfe, Männer heute, Männlichkeit

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