1. Fastensonntag: „Versuchung“

„Was ist für dich eine Versuchung?“ – so habe ich in den vergangen Tagen Freunde und Bekannte gefragt. Und ich bekam sehr konkrete Antworten: „Ein gutes Essen“, „Ein alter Whisky“, „Sex“, „Ein neues Smartphone“, „Ein schnelles Auto“, „Eine Reise nach Neuseeland“, …

Auch mir fallen sofort Dinge ein, bei denen ich nur schwer widerstehen kann. Und der Vorsatz, die Fastenzeit dazu zu nutzen, etwas bewusster zu konsumieren und auf das ein oder andere ganz zu verzichten, ist schnell gefasst. Das sollte mir – mit entsprechend festem Willen – doch eigentlich leicht gelingen.

Doch dann lese ich im Markus-Evangelium, dass Jesus in der Wüste in Versuchung geführt wurde. Moment mal! In der Wüste? Da, wo es keine hellen Leuchtreklamen und gut sortierten Shopping-Center gibt? Da, wo man ganz allein mit sich selbst ist?

Und ich beginne zu ahnen, dass die eigentlichen Versuchungen vielleicht gar nicht materielle Dinge sind…

Becker
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Welche Bedeutung hat eigentlich die Versuchung, eingefahrene Verhaltensweisen und Reaktionsmuster nicht mehr zu hinterfragen?

Wie groß ist die Versuchung, nur noch Seiten an mir wahrzunehmen, die ich mag und schätze?

Wie sehr bin ich versucht, unliebsame Eigenschaften zu verdrängen, weil sie nicht in das Bild passen, das ich mir von mir selber gerne mache?

 

Sicher gibt es auch Wesenszüge oder Neigungen, die mein Leben und Handeln negativ bestimmen und mich ein anderer sein lassen, als ich eigentlich sein will. Aber allzu groß ist die Versuchung, der manchmal notwendigen Selbstkritik einfach aus dem Weg zu gehen.

Wie Jesus, der während seiner „Wüstenzeit“ den „wilden Tieren“ nicht aus dem Weg gegangen ist, sondern bei ihnen lebte, so bin auch ich gefordert, mich dem Wilden in mir zu stellen und meinen Ecken und Kanten als Teil meines Ichs, meines Mannseins anzunehmen.

Denn erst wenn ich mir auch eigene Fehler bewusst mache und ich um unliebsame Verhaltensweisen weiß, bin ich nicht mehr ein rein Getriebener, sondern kann auch mal bewusst anders handeln.

Will ich also ganz ich selbst sein, muss ich mich in meiner Ganzheit wahrnehmen – und annehmen. Und das gelingt wohl am ehesten in der Stille. Innehalten. Stillwerden. Zu sich selber kommen. Das ist die Voraussetzung, dass ich immer mehr ich selber sein kann. Nicht einfach. Aber lohnend.

Denn der Stille verdanken wir Erkenntnisse, die uns befreien. Der Stille verdanken wir Entscheidungen, die wichtige Weichen stellen. Der Stille verdanken wir Nachrichten von uns selbst an uns selbst – hörbar ohne den Umweg über die Ohren.

Die kommenden Tage der Fastenzeit können wir dazu nutzen. Nicht 40 Tage Wüste, wohl aber jeden Tag einen Moment der Stille, Zeit zum Innehalten, Zeit zum Ganzwerden.

 

Autor: Stefan Becker

 

Zum Nachlesen: Mk 1,12-15

 

Vom Stillesein

 

Es liegt im Stillesein eine

wunderbare Macht der Klärung,

der Reinigung, der Sammlung

auf das Wesentliche.

(Dietrich Bonhoeffer)

 

 

 

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