Fastenimpulse 2022 – 2. Fastensonntag

„Erfahrungen achten und für mich behalten“

Der biblische Text – Lk 9,28b-36

28 Etwa acht Tage nach diesen Worten nahm Jesus Petrus, Johannes und Jakobus mit sich und stieg auf einen Berg, um zu beten. 29 Und während er betete, veränderte sich das Aussehen seines Gesichtes und sein Gewand wurde leuchtend weiß. 30 Und siehe, es redeten zwei Männer mit ihm. Es waren Mose und Elija; 31 sie erschienen in Herrlichkeit und sprachen von seinem Ende, das er in Jerusalem erfüllen sollte. 32 Petrus und seine Begleiter aber waren eingeschlafen, wurden jedoch wach und sahen Jesus in strahlendem Licht und die zwei Männer, die bei ihm standen. 33 Und es geschah, als diese sich von ihm trennen wollten, sagte Petrus zu Jesus: Meister, es ist gut, dass wir hier sind. Wir wollen drei Hütten bauen, eine für dich, eine für Mose und eine für Elija. Er wusste aber nicht, was er sagte. 34 Während er noch redete, kam eine Wolke und überschattete sie. Sie aber fürchteten sich, als sie in die Wolke hineingerieten. 35 Da erscholl eine Stimme aus der Wolke: Dieser ist mein auserwählter Sohn, auf ihn sollt ihr hören. 36 Während die Stimme erscholl, fanden sie Jesus allein. Und sie schwiegen und erzählten in jenen Tagen niemandem von dem, was sie gesehen hatten.

Erfahrungen

Erfahrungen machen das Leben aus. Laut Lexikon sind sie es, die dem Einzelnen das Wissen über die Welt vermitteln. Was immer ich auch tue, wonach immer der Sinn mir steht – oder eben auch nicht, letztlich baut das alles auf den Erfahrungen auf, die ich in meinem Leben machen durfte oder musste.

Er-fahrungen

Ja, machen musste. Denn ich kann es mir beim besten Willen nicht aussuchen, was da ab geht. Erfahrungen sind letztlich immer Dinge, die mir zustoßen, die ich nicht lenken kann, die mir manchmal wider-fahren.

Erfahrungen achten …

Und doch sind sie wichtig für mich. Machen sie mich aus. Auch die schlechten Erfahrungen. Auch die gehören dazu und sind ein wesentlicher Teil von mir. Ich kann und darf sie nicht einfach ignorieren.

… und für mich behalten

Aber, es sind zuerst meine Erfahrungen. Andere können und mögen ihre eigenen und vielleicht auch ganz anderen Erfahrungen machen. Das heißt nicht, dass ich meine Erfahrungen für mich behalten und darüber schweigen will, aber ich kann sie auch nicht anderen aufzwingen, damit sie aus meinen Erfahrungen heraus ihr Leben gestalten. Solange es nicht ihre eigenen Erfahrungen sind, werden sie damit auch nichts verbinden.

Der Text und ich

Der Text von der Verklärung Jesu triggert mich jedes Mal aufs Neue, da ich mich ziemlich gut im Verhalten des Petrus und der anderen beiden Jünger, Johannes und Jakobus, wiederfinden kann.

Er beginnt mit dem Bericht über eine besondere Gemeinschaftserfahrung – Jesus geht nur mit diesen drei konkreten Männern auf den Berg zum Beten. Aus den 12 Aposteln und den vielen anderen Jüngerinnen und Jüngern wählt er ausgerechnet diese drei aus, um mit ihnen eine sehr persönliche, beinahe intime Erfahrung zu teilen. Beten ist für Jesus nicht ein murmelndes Knien in einer Kirchenbank, sondern das direkte Gespräch mit Gott, den er uns als seinen Vater vorstellt. Das dürfen sie jetzt miterleben. Aber nicht nur das. Aus diesem Zwiegespräch wird ganz schnell mehr. Plötzlich stehen da zwei Männer, die die Jünger als Elija und Mose identifizieren.  Und sie hören und bekommen mit, dass diese Männer Jesus erzählen, dass er in Jerusalem sein Ende finden wird.

Starke Worte und ein starkes Erlebnis. Etwas, das den Glauben auf eine besondere Art und Weise festigt. Wie gerne würde ich das auch so erleben dürfen! Die Jünger scheinen die Tragweite der Erfahrung begriffen zu haben. Jedenfalls wollen sie drei Hütten bauen – für Jesus, Elija und Mose. Da wo ich ein Haus baue, also sesshaft werde, will ich bleiben und nicht mehr weg. Spannenderweise bauen sie keine Hütte für sich selbst. Warum? Wir wissen es nicht und der Text gibt auch keine Antwort auf diese Frage. Vielleicht wollen sie sich schlicht nicht auf die gleiche Ebene stellen. Und doch machen sie mit dem Vorschlag Hütten zu bauen deutlich: „Wir wollen hierbleiben. Hier in der Erfahrung, hier in dem Erleben dieser wunderbaren Begegnung. Wir wollen, dass diese Erfahrung niemals endet.“ Dass das ein Trugschluss ist, wissen wir. Und sie damals sicher auch. So wertvoll, wie diese Erfahrung auch ist, wenn sie nicht endet, also zum Alltag wird, dann wird ganz schnell das Besondere, das Wertvolle daran verloren gehen und die Suche nach einem neuen Wertvollen beginnen.

Im Text bleibt den Jüngern die Erinnerung an diese Begegnung und die starke himmlische Bestätigung „Dieser ist mein auserwählter Sohn…“ Mit dieser doppelten Erfahrung (Begegnung und Bestätigung) kehren die Jünger in ihren Alltag zurück. Kehren sie zurück zu all den anderen Begleitern Jesu. Und jetzt sollte eigentlich das beginnen, was die logische Konsequenz aus dem Erlebten ist: anderen davon zu berichten. Aber sie tun es nicht. Unglaublich! Was mag sie dazu bewogen haben? Ist es die schiere Unglaublichkeit des Erlebten? Ist es der Wunsch es für sich zu behalten, aus Angst das es unbedeutend wird, wenn sie es teilen? Wir wissen es nicht. Aber es darf zum Überlegen anregen. Was wir wissen, ist, dass sie irgendwann doch darüber geredet haben müssen. Sonst hätte es ja niemand aufschreiben können.

Hier kommt die Frage zu Tage: Wie gehe ich um mit meinen Erfahrungen. Sollte ich immer davon reden und sie regelrecht anderen aufdrängen? Sollte ich es wie die Jünger machen und sie für mich allein behalten (Unwillkürlich fällt mir da Golum vom Herrn der Ringe ein, der seinen gefundenen Ring nicht zeigen, geschweige denn hergeben will und ihn mit großen Augen betrachtend immer nur „Mein Schatz. Mein Eigen.“ nennt.)? Oder sollte ich meine Erfahrungen offen anbieten ohne sie als allgemein verbindlich zu betrachten?

Im Letzten sind es meine Erfahrungen. Andere hätten es anders erleben können, anders fühlen können, anders einschätzen können. Sie haben zuallererst mich verändert, egal in welche Richtung. Insofern sind sie tatsächlich ein Stückweit mein „Schatz.“ Aber ich darf von ihnen erzählen – offen, freundlich, anbietend – damit andere sie nutzen können, wenn sie es denn wollen. Sie aufzuzwingen, geht nach hinten los.

Beim Lesen dieses Textes wird mir neben all den Überlegungen über Erfahrungen noch ein zweites wieder einmal deutlich. Wie voll, wie übervoll, unsere biblischen Texte doch von sogenannten Leerstellen sind. Damit sind fehlende Informationen gemeint, wie im vorliegenden Text zum Beispiel die Beweggründe Hütten bauen zu wollen oder die Frage, warum die Jünger ihre Erfahrungen nicht weitererzählen. Das sind nur zwei der vielen möglichen Beispiele innerhalb der Bibel – sogar innerhalb dieses Textes. Auch hier finden sich noch viel mehr solcher Fragemöglichkeiten. Wir fragen „Warum?“ und finden innerhalb des Textes doch keine Antwort. Aber wir dürfen unsere eigene Phantasie, unsere je eigenen Erfahrungen nutzen. Wir dürfen uns anregen lassen von unserem Warum und über mögliche Beweggründe nachdenken. Wir werden nicht DIE Antwort finden, aber wir werden immer tiefer in den Text vordringen können und uns so den Text erschließen.

Ich glaube daran, dass biblische Texte immer Texte sind, die mich treffen sollen. Die mich berühren und verändern sollen. Im hier und heute.  Sie tun das durch konkrete Worte und Bilder, aber eben auch durch das Fehlen derselben. Hier bin ich eingeladen, Antworten „für mich“ zu finden. In der Schriftbetrachtung nach Art der Lectio Divina heißt dieser Schritt: „Der Text liest mich“ – in der konkreten Begegnung mit dem Text kann ich mich selbst, mein Leben, meine Fragen, mein Suchen wiederfinden. Der Text wird etwas in mir anrühren, aufbrechen – wenn ich ihn lasse.

Ich lade Sie ein sich beim Lesen der biblischen Texte, jetzt in der Fastenzeit, aber auch darüber hinaus offen zu sein für die Leerstellen im Text. Man muss kein Bibelfachmann sein um mit seinen eigenen Erfahrungen diese Leerstellen auszufüllen. Es geht nicht darum biblisch korrekte Antworten zu finden, sondern darum den biblischen Texten einen Raum im eigenen Leben zu ermöglich. Das gelingt tatsächlich. Und ich sage das aus Erfahrung.

Wenn Sie wollen erfahren Sie zur Lectio Divina hier mehr: www.lectiodivina.de

Daniel Pomm

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