Michael Kumpfmüller, Die Erziehung des Mannes, Roman,
Köln (Kiepenheuer & Witsch) 2016.
„Meine Erziehung halte ich für weitgehend abgeschlossen“, stellt der Ich-Erzähler Georg mit Anfang 60 am Ende fest. Der Komponist von klassischer Musik lebt zu dieser Zeit in seinem Landhaus und blickt auf ein bewegtes Leben zurück. Nach anfänglichen Schwierigkeiten wird aus ihm ein angesehener und anscheinend nicht unvermögender Künstler, er ist Vater von drei mittlerweile erwachsenen Kindern, und lebt die meiste Zeit seines Lebens mit Frauen zusammen, mit denen er überwiegend auch sexuell zufriedenstellende Beziehungen führt. In die Ehe mit Jule, mit der er auch drei Kinder hat, ist er mehr oder weniger hineingestolpert, Kinder wollte er zunächst nicht. Die Ehe, die über zehn Jahre andauert, endet in einem Desaster. Die Partner leben sich auseinander, auch wegen des Stresses mit den Kindern. Aber auch die jeweiligen Ambitionen im Beruf (Jule ist Lehrerin) führen dazu, dass Georg außerhalb der Ehe neue Orientierung sucht. Diese Außenbeziehung ist Anlass für die Trennung von Jule, die aber, so betont der Ich-Erzähler, nur das Symbol für die Zerrüttung und Entfremdung der Partner gewesen sei.
Was folgt, ist ein klassischer Rosenkrieg. Zunächst leben beide Eltern im Wechselmodell abwechselnd jeweils eine Woche mit ihren Kindern zusammen. Dann aber, als die Erziehung der Kinder und Georgs neue Beziehung aus dem Ruder zu laufen drohen, führt er dies auf die ständig wechselnden Wohnorte der Kinder zurück. Im Ergebnis kommen sie zur Mutter, der Vater hat sie alle zwei Wochen am Wochenende. Dadurch entspannt sich anscheinend die Lage, denn danach liest man nur noch von Kindern, die sich prächtig entwickeln. Auch Georgs Liebesleben lässt sich nach seinen Vorstellungen bestens gestalten. Am Ende kommt er sogar wieder mit seiner allerersten Liebe Therese zusammen und gedenkt, mit dieser alt zu werden.
Der Roman ist, man möchte fast sagen leider, sehr subjektiv. Man sieht nichts außer durch die Brille des Ich-Erzählers. Und aus dieser Perspektive ist nachvollziehbar und hervorragend beobachtet, was Georg tut und was ihn zu bestimmten Entscheidungen bewegt. Es wird ein Leben aus der Ich-Perspektive gezeigt. Diese Sicht lässt so gut wie alles weg, was diesen eigenen Blick auf die Dinge relativieren könnte. Und da sieht man einen Mann, der, was Frauen angeht, eigentlich auf seine Kosten kommt, mal abgesehen von den mehr oder weniger dramatischen Beendigungen der Beziehungen. Auch seine problematische Beziehung zu seinem Vater (er ist ein typischer Nachkriegsvater mit wenig Lob, aber viel oft unausgesprochener Kritik an der Person des Sohnes) hindert ihn nicht daran, seinen Traum eines Künstlerlebens (mit zunächst nicht unerheblicher finanzieller Unterstützung des Vaters) zu verwirklichen. Eigentlich, und Georg formuliert es am Ende auch selbst, ist alles in bester Ordnung.
Aber warum heißt der Roman dann fast zynisch „Die Erziehung des Mannes“? Wer erzieht „den“ Mann? Natürlich „die“ Frau, muss man wohl zwangsläufig schließen. Der Mann also als Opfer der Erziehung der Frau? Es stimmt natürlich aus der subjektiven Sicht von Georg, dass Jule ihn zu bestimmten Sachen bringt, aber ist es – aus einer anderen Perspektive – nicht angebracht, auch zu fragen, zu was Georg Jule und seine anderen Partnerinnen „erzieht“? Der männliche Leser, zumal der nach Trennung sich benachteiligt fühlende, wird sich mit Georg zum Teil sehr identifizieren können. Helfen kann ihm Georgs Sicht hingegen wenig. Die schwierigen beziehungsrelevanten Krisen können nämlich letztlich nicht dadurch bewältigt werden, indem man sich zum Opfer des anderen macht bzw. machen lässt. Wer sich erzogen fühlt bzw. erziehen lässt, ist noch nicht erwachsen, muss man aus der Wahl der Begrifflichkeit schließen. Denn nur der Erwachsene fühlt sich jederzeit verantwortlich für sein Handeln, gibt sich nicht zufrieden mit der Opferrolle und sucht nicht ständig die Schuld für eigenes Unglück im Handeln der anderen. Er ist vielmehr auch selbstkritisch, nachdenklich, bisweilen auch selbstironisch. Diese Eigenschaften gehen Georg ab. An der Oberfläche ist alles gut überlegt und nachvollziehbar. In die Tiefe geht es freilich wenig.
Der Name des Ich-Erzählers, Georg, ist hingegen interessant. Ist dessen Wahl kein Zufall, stellt sich die spannende Frage, welchen „Drachen“ Georg, bezogen auf die alte christliche Legende, töten müsste, um ein erwachsener Mann zu werden? Diese Perspektive bietet dieser Roman allerdings leider nicht an. Wäre dies der Fokus gewesen, hätte die Geschichte ein spannender, sehr männlicher Entwicklungsroman werden können.
Dr. Andreas Heek