2. Fastensonntag

Ein unerwarteter Moment der Stille

Ein erfahrener Bergsteiger führte eine Gruppe junger Männer durch eine anspruchsvolle Route in den Alpen. Der Weg war steinig, die Luft wurde dünner, die Muskeln brannten. So manche herausfordernde Stelle galt es zu meistern. Doch jeder Schritt war geplant und jedes Hindernis konnte aktiv überwunden werden. Doch plötzlich, auf einer Lichtung mit weitem Blick über das Tal, blieb der Bergführer plötzlich stehen.

„Wir rasten hier“, sagte er.

„Aber warum?“, fragte einer der Männer. „Wir haben doch noch ein gutes Stück vor uns. Wir können es in einem Zug schaffen!“

Der Bergführer lächelte und antwortete ruhig: „Wir müssen unsere Seelen nachkommen lassen.“

Die Männer schwiegen und schauten sich an. Erst nach einigen Minuten, als der Blick über die Berge wanderte, der Atem sich beruhigte und die Gedanken zur Ruhe kamen, spürten sie, was der Bergführer meinte: Einfach mal innehalten, sich umschauen, genießen, dasein… 

Im Lukasevangelium lesen wir eine für mich sehr bemerkenswerte Szene, die ebenfalls auf einem Berg verortet ist: „Und während er betete, veränderte sich das Aussehen seines Gesichtes, und sein Gewand wurde leuchtend weiß.“ (Lk 9,29)

Es handelt sich um die Erzählung von der Verklärung Jesu. Jesus hatte sich mit drei seiner Jünger auf einen Berg zurückgezogen. Und während er betete, geschah etwas mit ihm. Nicht, weil er mit einer bestimmten Methode versuchte, sich zu verändern. Nicht, weil er mit Anstrengung etwas zu erreichen suchte, sondern weil er einfach geschehen ließ. Er war einfach da. Während seines Betens ist etwas mit geschehen – ohne sein aktives Zutun.

Viele von uns Männern sind es gewohnt, Kontrolle zu haben, Probleme zu lösen, Verantwortung zu tragen. Aktiv sein gibt uns Sicherheit, lässt uns und unsere Wirksamkeit spüren. Aber Gebet funktioniert nicht durch Tun, sondern durch Sein. Wir dürfen Dinge loslassen, das Bedürfnis nach Kontrolle abgeben, uns verwandeln lassen – anstatt selbst an uns herumzuschrauben.

Das ist gar nicht immer so einfach. Denn wer loslässt, kann sich manchmal auch machtlos fühlen. Wahre Kraft kommt jedoch aus der Fähigkeit zu vertrauen, vielleicht auch sich Gott anzuvertrauen. Darum dürfen wir uns fragen: 

• Muss ich wirklich immer alles im Griff haben? Wo kann ich loslassen und Vertrauen lernen?

• Wie oft nehme ich mir Zeit, ohne etwas zu „leisten“, sondern einfach zu sein – auch vor Gott zu sein?

• Bin ich mir bewusst, dass Gott mich nicht wegen meiner Taten liebt, sondern einfach weil ich bin?

Darum setze dich in der kommenden Woche bewusst immer wieder einmal hin, ohne etwas zu tun. Atme tief durch. Sei einfach da – und lass Gott wirken.

Denn manchmal müssen wir unsere Seelen nachkommen lassen.

Stephan Schwab,

(Klinikseelsorger am Klinikum Aschaffenburg-Alzenau 

und an der Psychiatrischen Klinik Aschaffenburg)

Bild: „Liegender Mann“: HubertRams 2015,  Pixabay

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