5. Fastensonntag

Vergangenes Loslassen

In einem Jahr um diese Zeit werde ich bereits einige Wochen im Ruhestand sein. Dass es bald so weit ist, merke ich heute daran, dass ich mich nun peu à peu aus bisherigen beruflichen Zusammenhängen verabschiede – und verabschiedet werde. Hier die Jahreskonferenz, an der ich nochmals teilnehme, dort die Jahresgespräche, die ich als Vorgesetzter zum letzten Mal führe. Dazu die Arbeitsvorhaben, die ich in den verbleibenden Monaten abschließen oder zumindest ordentlich zur Erledigung an meine Nachfolge weitergeben will ….

Und zugleich merke ich: Das Wort Ruhestand mag ich überhaupt nicht. Es klingt so statisch, so perspektivlos. Denn statisch und perspektivlos möchte ich nach dem Renteneintritt ganz sicher nicht leben. Die ein oder andere konkrete Idee habe ich schon, was ich dann machen werde. Ja, und ich habe dabei Lust, auch etwas ganz Neues anzufangen. Denn etwas Neues zu probieren, ist keine Frage des Lebensalters. Aber was ist mit dem, was ich zurücklasse, wenn ich aus dem Beruf ausscheide?

Wenn ich mir die heutige alttestamentliche Lesung aus dem Buch Jesaja anschaue, scheint die Antwort klar zu sein: Es gilt, nicht mehr zurückzuschauen auf das, was vorbei ist, sondern den Blick konsequent nach vorne zu richten. Aber stimmt das überhaupt? Zumindest für die Menschen, die der Prophet ursprünglich anspricht, trifft es zu: Nach der bleiernen Zeit der babylonischen Gefangenschaft ist es für sie wichtig, positiv nach vorne zu schauen und für die Zukunft neue Hoffnung zu schöpfen. Eben das verheißt der Prophet in einem sprechenden Bild: Endlich wieder frisches Wasser trinken und mit Gottes Hilfe erleben, dass aus der trockenen Wüste grünes Lebensland wird!

Wüstenmomente haben wir wohl alle in unserem beruflichen Alltag erlebt. Auch mir ging es so manches Mal so. Aber eine babylonische Gefangenschaft war meine Erwerbsarbeit nie. Dafür habe ich zu gerne gearbeitet und trotz Stress und Ärger so viele gute Momente und bereichernde kollegiale Begegnungen gehabt. Das für mich zu würdigen und so auch Bilanz dieser vierzig Arbeitsjahre zu ziehen, ist mir wichtig in der nächsten Zeit.

Die Lesung aber erinnert mich zugleich daran, dass es dann aber auch den Blick nach vorn braucht. Denn wer immer nur zurückblickt, sieht nicht, was vor einem liegt und kommt auch leichter ins Stolpern. Wer immer nur zurückschaut, verliert aus dem Blick, dass Gott kein Gott der Vergangenheit, sondern ein Gott der Zukunft ist, der neue Lebenswege öffnet. Das ist der spirituelle Impuls, den ich für mich persönlich am heutigen 5. Fastensonntag mitnehme, und von dem ich hoffe, dass er mich durch die nächsten Monate und im Übergang vom Beruf in die Rente begleitet.

Zum eigenen Nachdenken:

  • Bin ich eher der Typ, der gerne noch zurückblickt, wenn eine neue Lebensphase beginnt, oder schaue ich konsequent nach vorne?
  • Was brauche ich, um gut nach vorne zu schauen? Was kann, was will ich dabei zurücklassen?

Zum Nachlesen: Jesaja 43,16-21

Autor: Andreas Ruffing

Foto: Hans Prömper privat

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