BINDUNG …
… lebt von Vertrauen
Ich binde mich nicht gern. Ich hab mich noch nie gern gebunden. Ich war froh, als ich
damals — ich weiß es noch genau — von zu Hause ausziehen konnte. Endlich war
ich frei. Ich feiere heute noch jedes Jahr diesen Tag der Freiheit, den 28. März.
Und jetzt habe ich hier dieses Thema: Bindung.
Schaue ich mir den Lesungstext des 5. Fastensonntags an — Jeremia 31, 31-34 —
kann ich glücklicherweise entspannen. Es geht in ihm zwar um Bund und Bindung,
aber auch um ein Herzensanliegen. Vielleicht wurde der Jeremia-Text ja gerade mir
ins (vorösterliche) Nest gelegt. Ich kann an ihm etwas erkennen, vielleicht auch
lernen.
Zunächst einmal fällt mir auf: Es geht nicht um ein Festhalten an Altem, an
Vergangenem und Belastendem. Es geht um den Aufbau von etwas Neuem, um ein
neues, »göttliches« Versprechen. Der Blick geht nicht nach hinten, sondern richtet
sich nach vorn. Was mich einmal gebunden hat, weil ein Gesetz es so wollte, das kann
ich getrost hinter mir lassen. »Spruch des Herrn«: Ich lege mein Gesetz in dich hinein
und schreibe es auf dein Herz. — Ja, das sind Aussichten.
Für mich ist es die Aussicht auf etwas wirklich Lebendiges. Nicht mehr in der
Verdinglichung eines Textes begegnet mir Gott. „Der Buchstabe tötet, der Geist aber
macht lebendig“, heißt es bei Paulus (2 Kor 3,6). Das Gesetz, der Text ist nicht länger
der Ort der Gottespräsenz. Er liefert allenfalls eine Spur. Nicht mehr im Gebot steckt
die Bindung, sondern im Menschen, der im Bunde ist mit Gott. „Das Wort ist Fleisch
geworden“, liefert Johannes uns die kürzestmögliche Formel (Joh 1,14).
Bindung heißt fortan: Vertrauen aus ganzem Herzen. Mit Fleisch und Blut. Gottes
Bund gründet in meinem Herzen. Keiner muss mir mehr erklären, wie das zu
verstehen ist. Was in meinem Leben richtig ist oder falsch.
Ich kann mich heute binden, weil Gott mir zuvorkommt mit seinem Vertrauen. Meine
Verbindung mit ihm schenkt mir Vertrauen — auch zu mir selbst.
Was lässt mich spüren, dass dieses Vertrauen lebendig ist?
In Anlehnung an ein bekanntes Zitat des Jesuiten Pierre Teilhard de Chardin
(1881-1955) habe ich mir folgenden Satz in mein religiöses Stammbuch geschrieben:
„Wir sind göttliche Wesen, die auf Erden menschliche Erfahrungen machen.“
Dieser Satz ist mir zu einer fundamentalen Einsicht meines Gottesglaubens
geworden. Die Mystik Teilhards versteht Christus als göttliches Geheimnis in unserm
tiefsten Innern, als „Christus in uns“, und als liebende Kraft, die das Universum
durchströmt. Die Apostelgeschichte des Lukas nennt beides in einem Zuge:
„In Christus leben wir, bewegen wir uns und sind wir (…).
Wir sind von seiner Art“ (Apg 17, 28).
In einem der schönsten Texte christlicher Mystik fasst Nikolaus Cusanus
(1401-1464) diese Erkenntnis in einem Gebet zusammen. Dieses Gebet empfehle ich
als Meditationsimpuls in der Fastenzeit:
„Gott, wie wirst du dich mir geben,
wenn du mich nicht mir selbst gibst?
Wenn ich im Schweigen der Betrachtung ruhe,
antwortest du mir, Herr, tief in meinem Herzen und sagst:
Sei du dein
und ich werde dein sein! –
O Herr,
du Beglückung in aller Wonne,
du hast es zur Sache meiner Freiheit gemacht,
dass ich mein sein kann, wenn ich es nur will.
Gehöre ich nicht mir selbst,
so gehörst du auch nicht mir.
Du nötigst insofern meine Freiheit,
da du nicht mein sein kannst,
wenn ich nicht mein bin.
Und weil du das in meine freie Entscheidung gelegt hast,
nötigst du mich nicht,
sondern erwartest,
dass ich selbst wähle, mir zu gehören.“
Das ist es: Ich soll der werden, der ich bin. Ich soll nicht Kind bleiben, sondern
erwachsen werden, eigenständig denken, mich entwickeln, mich bewusst entscheiden.
Jeder kann die göttliche Spur in seinem Leben auf seine Weise entdecken. Das ist ein
lebenslanger, oft mühsamer Prozess des Innewerdens. In einem bewussten Leben, im
Bemühen um Wahrheit, in der Bereitschaft, meiner inneren Stimme zu folgen,
offenbart sich mir der Bund Gottes, sodass ich spüre: In mir gibt es einen göttlichen
Kern, den ich nicht verlieren kann, ein inneres Gesetz, das in mein Herz
geschrieben ist.
Abschließend noch ein Lektüretipp, der Link zu einem Text in einem meiner
Weblogs, „Neues aus der Parallelwelt“:
Gottes Sein ist im Werden
Was Evolution und Schöpfung verbindet
https://ludgerverst.wordpress.com/2016/04/04/gottes-sein-ist-im-werden/
Viel Freude und Gewinn beim Lesen!
Ludger Verst