Steigbügel ins Leben – eine (atheistische) Stimme der Verbundenheit

5. Fastensonntag

Deschner gelesen, Nietzsche, Marx: mit 19 bin ich ausgetreten. Der personifizierte Gott war tot. Der Gottesbegriff nach Auschwitz? Mhmmm. Timor fecit deum – Gott ist menschengemacht, aus Angst? Wenn man mich fragt: ich bin Atheist. Atheismus ist das radikale Eingeständnis, keine Heimat zu haben – das ist eigentlich besonders herausfordernd. Bin ich deshalb auf der Suche? Und schreibe jetzt einen katholischen Fastenbrief?

Es blieb da nämlich immer etwas. Ich habe mich oft von der Spiritualität, die Kirchen ausstrahlen können, angesteckt gefühlt. Ich zünde Kerzen an und denke an Menschen, denen ich mich verbunden fühle. Romanische Kirchen und Kruzifixe üben eine tiefe Ausstrahlung auf mich aus. Vor allem aber haben mich Menschen angezogen, die kirchennäher waren als ich: Sie wirkten auf mich reifer, angekommener, ausgeglichener und freier als ich selbst; sie waren wiederholt Vorbilder im Alltag, die mich berührten und demütig machten. Auch sie waren aber fast immer im Zweifel unterwegs.

Vor etwa 20 Jahren bin ich dann der Männerarbeit begegnet. Ein machtvoller Anstoß zur Entwicklung, eine Öffnung und Hinwendung insbesondere zu Lebensfragen. Die Kraft der Gruppe. In Deutschland waren die beiden Kirchen bahnbrechender Wegbereiter dieser Arbeit in der Breite. Und so habe ich auch aus dieser Quelle viele Impulse erhalten, die mich nachdenklich gestimmt haben:

  • Biblische Figuren, die vielleicht doch etwas mit mir und uns zu tun haben: eine Frau Lot, die erstarrt, weil sie in der Vergangenheit verhaftet ist, statt in die Zukunft zu blicken; ein Jakob, der mit seinem Weg ringt und von der Midlife-Crisis gezeichnet hüftlahm weitergeht.
  • Abschreckende Katechismus-Begriffe wie „Auferstehung“, die für mich auf einmal Sinn ergeben, wenn man sie in den Alltag überträgt: das Leben als Prozess lauter kleiner Tode und (hoffentlich) lauter kleiner Auferstehungen.
  • Ein moderner Kreuzweg in Bamberg, der die verschiedenen Stationen in einem Begriff zusammenfasste. Zum Beispiel „beladen“ – Welche Last fühle ich? Wo lade ich anderen etwas auf?
  • Die Erkenntnis, dass „Kirche“ weniger eine Institution als eine Gemeinschaft ist, in der man sich – auch global – im Idealfall vorbehaltlos begegnet. Und Menschen im nächsten Umfeld, denen genau das widerfahren ist. Die Gemeinde vor Ort, die Menschen, mit denen ich zusammenlebe: Wenn ich nachhaltiger leben will, sollte ich diesen Zusammenhang stärken. „Alles wirkliche Leben ist Begegnung“ (Martin Buber).

Die Impulse, die mir hängen geblieben sind, waren Steigbügel ins Leben. Wiederholt waren sie ganzheitlicher und berührender als andere Denkanstöße. In einer komplexen Lebensphase waren kirchliche Impulse auch die einzigen öffentlichen Stimmen, die Ambivalenzen, Schwieriges oder Schwächen offen angesprochen haben. Dafür bin ich dankbar.

Eines der tiefen Ziele der Männerarbeit ist in meinen Augen das innere Wachstum. Einen kleinen Schritt weiter bedeutet dies in meinem Verständnis auch die Abkehr von (narzisstischer) Egozentrik, den mühsamen Weg vom Ego zum verbundenen Selbst. Hier berühren sich Männerarbeit und Glaubenspraxis fruchtbar. Viele Männerarbeitende werden mit der Zeit stiller, sie verstummen – wie die Mystiker. Der Theologe Karl Rahner hat einmal gesagt „Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein oder er wird nicht sein“.

„Ich bin ein Teil – alles ist verbunden“. Eine aktuelle franziskanische Stimme, die mich berührt. Als Naturwissenschaftler trifft es mein Weltbild – zugleich trifft es meine spirituelle Seite. Verbunden sein mit uns selbst, mit den anderen und mit dem Leben – hier berühren sich beide Sphären. Die französische Philosophin Corinne Peluchon beschreibt das verkörperte Wissen, sich als Teil eines größeren Lebenszusammenhangs zu begreifen, als „Transzendenz der Immanenz“. Ich nenne das nicht „Gott“ – aber fühle mich hier den Menschen im Glauben am nächsten.

Gibt es christliche Atheisten?

 

Autor: Christian Schade

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