Fastenimpulse 2023 – 2. Fastensonntag

2, Tim 1,8b-10

Ermutigung zu furchtlosem Zeugnis: 1,6-14

8 Schäme dich also nicht des Zeugnisses für unseren Herrn und auch nicht meiner, seines Gefangenen, sondern leide mit mir für das Evangelium! Gott gibt dazu die Kraft: 9 Er hat uns gerettet; mit einem heiligen Ruf hat er uns gerufen, nicht aufgrund unserer Taten, sondern aus eigenem Entschluss und aus Gnade, die uns schon vor ewigen Zeiten in Christus Jesus geschenkt wurde; 10 jetzt aber wurde sie durch das Erscheinen unseres Retters Christus Jesus offenbart. Er hat den Tod vernichtet und uns das Licht des unvergänglichen Lebens gebracht durch das Evangelium.  

 

Schon vor ewigen Zeiten

Ich bin Muslim. Und vielleicht deshalb stoßen vier unscheinbare Worte in diesem Brief des Apostel Paulus an Timotheus in mir ein Tor auf, hinter dem eine Brücke direkt zu meinem Glauben, dem Islam, führt. Es sind die Worte “schon vor ewigen Zeiten”. Scheinbar ohne direkten Bezug zum Thema, furchtlos Zeugnis für Gott abzulegen, stehen sie da. Und doch verleihen gerade diese Worte allen anderen die Unantastbarkeit des letzten Arguments.

Wenn Gott dem Menschen ohne Gegenleistung seine Gnade erwiesen hat, dann wird er gewiss auch in der Not Kraft verleihen. Je wesentlicher, unverrückbarer eine Sache wie diese ist, desto früher liegt ihr Ursprung, umfasst alle Zeiten, gilt von Ewigkeit her. Dass wir von dieser ungeheuer bedeutenden Sache, wie im Brief des Paulus zu lesen, aus der Offenbarung erfahren, macht dann auch aus der Offenbarung eine ungeheuer große, unverzichtbare Sache.

Die Existenz einer Beziehung zwischen Gott und Mensch und dass diese vor ewigen Zeiten entstanden sei, sind die beiden Elemente, die mich an eine Geschichte erinnern, die vor allem für islamische Mystiker, die Sufis, zentral ist. Diese Geschichte ist inspiriert aus Sure 7 Vers 172 des Koran.

Sie ist schnell erzählt. Noch bevor es die Menschen auf Erden gab, versammelt Gott ihre Seelen und fragt: “Bin ich nicht euer Herr?” Und sie antworten: “Ja, so ist es.” Durch dieses Bekenntnis ist die Bande zwischen Gott und Mensch geknüpft. Und das “schon vor ewigen Zeiten”.

Anders als bei Paulus aber, legt der Mensch hier aktiv ein Bekenntnis seines Glaubens ab. Diese in die Seelenwelt verlegte Geschichte konnte nicht anders, als immense Bedeutung zu entfalten, und zwar in zwei Richtungen: In eine mystische und in eine theologische.

Die Seele ist Gott nah, hat Gott bezeugt. Für die islamische Mystik folgt daraus, dass Gottes Nähe erfahrbar sei. Das Instrument dafür ist nicht der Verstand, sondern das Herz, der Spiegel der Seele. Wer durch Übung sein Herz reinigt, kann über den gereinigten Spiegel Gott erkennen.

Für manche Gelehrte in der islamischen Theologie wiederum ist diese Geschichte ein Hinweis auf die Verantwortlichkeit des Menschen für seinen (Un-) Glauben. In der Seele des Menschen liegt das Wissen von Gott verborgen und die Natur des Menschen, schon als Kind nach dem Warum zu fragen und den Dingen auf den Grund zu gehen, ermöglichen es, die Existenz Gottes zu erkennen. Der Koran fordert abermals dazu auf, über die Zeichen Gottes in der Welt nachzudenken. So heißen die Verse des Koran im Arabischen Ayat, die Zeichen. Soweit die vereinfachte Theorie.

Schon als Jugendlicher haben mich solche Themen beschäftigt. Nicht zuletzt, weil ich als Muslim in Deutschland in einem nicht-muslimischen Umfeld aufgewachsen bin, suchte ich nach einem gerechten Schlüssel für alle. Ich wollte einfach nicht akzeptieren, dass Gott den rechten Glauben einfordert, aber den Einen den Schlüssel in die Wiege legt und ihn den Anderen vorenthält. Das widersprach meinem, vielleicht jedem Sinn für Gerechtigkeit. Wenn, wie üblich, Muslime als Muslime und Christen als Christen aufwuchsen, was sollte das mit wahrer Erkenntnis und wahrem Glauben zu tun haben? Die Trennlinien des Glaubens verliefen also nicht zwischen den Religionen. So konnte nur die individuelle Beziehung jedes Menschen zu Gott von Bedeutung sein. Die Religion und die Erziehung darin waren das Vehikel, das diese Beziehung befördert oder behindert, dem Glauben eine Form und ein Handlungsfeld gibt.

Nun, es waren vielleicht vereinfachte, naive Gedanken aus meiner Jugend. Aber sie haben mich dazu ermutigt, am Gedanken der Pluralität auf dem Wege zu Gott festzuhalten. So lese ich alle Glaubenstexte jeweils mit der gleichen Ernsthaftigkeit und dem Gedanken, sie könnten auch mir etwas zu sagen haben. So habe ich auch in Timotheus hineingelesen und auch hier eine Gemeinsamkeit zwischen Bibel und Koran gesehen, dass “schon vor ewigen Zeiten” eine Bande zwischen Gott und dem Menschen geknüpft worden sei.

Und nun? In diesem Monat beginnt auch für Muslime die Fastenzeit, zu der es im Koran heißt: “Euch ist das Fasten vorgeschrieben, so wie es denen vor euch vorgeschrieben war zu fasten.” Mit “denen vor euch” sind unter anderem Christen gemeint. Dann sind wir für eine Zeit durch Verzicht auf der Suche nach Spiritualität und der Barmherzigkeit Gottes vereint. Zumindest brauchen wir solche Gedanken der Gemeinsamkeit, Individualität im Glauben hin oder her.

Allen eine gesegnete Fastenzeit!

Taner Yüksel

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