Wolf, Zölibat

Wolf, Hubert, Zölibat, 16 Thesen
München (C.H. Beck) 2019

 

Es gibt Gründe für eine kirchliche und theologische Begründung, den Zölibat von Priestern beizubehalten. Aus männerrechtlicher Perspektive, d.h. vom Menschenrecht auf sexuelle Selbstbestimmung jedes Individuums hergesehen, muss der Zölibat als Verpflichtung für katholische Männer, die Priester werden bzw. sein wollen, grundsätzlich aber abgelehnt werden. „Auch Priester haben Menschenrechte“, so formuliert Hubert Wolf, Kirchenhistoriker aus Münster, dies in einer seiner Thesen. Die Aufklärung forderte vehement die Aufhebung des Pflichtzölibates, begründet durch eben dieses Recht auf Selbstbestimmung. Dagegen wurde – die Aufklärung und zunächst die Formulierung von Menschenrechten ablehnend – und wird bis heute kirchlicherseits oft eingewandt, kein Mann würde ja gezwungen, Priester zu werden, also sei er frei, den Zölibat freiwillig zu übernehmen oder nicht. Die rückgängige Zahl an Priesteranwärtern, die hohe Zahl derer, die vor der Priesterweihe ihren Berufswunsch aufgeben und die ebenso hohe Zahl derer, die in den ersten zehn Jahren nach der Weihe ihr Amt aufgeben, sprechen dafür, dass viele Männer nicht in der Lage oder bereit sind, sich an den Zölibat zu halten. Die statistisch nicht fassbare, aber sicher hohe Zahl von Amtsträgern, die ihrer vollständigen sexuellen Enthaltsamkeitspflicht nicht nachkommen, indem sie in einer gegen- oder gleichgeschlechtlichen Partnerschaft leben oder ihren sexuellen Bedürfnissen anderweitig nachgehen ist dabei noch gar nicht berücksichtigt.

Nun hat Hubert Wolf dieser prekären Lage des Priesteramtes eine geschichtliche Untersuchung hinzugefügt, die hochspannend, brisant, aber auch auf eine Art entlastend ist. Seine sechszehn Thesen, die die Geschichte des Zölibats gut lesbar, prägnant und zugespitzt nachzeichnen, offenbart wie fast immer in der Kirchengeschichte, dass nichts, was gegenwärtig als immer schon da gewesen dekretiert wird, tatsächlich auch so war. Zentrale These Wolfs ist, dass keine historische Kontinuität der Zölibatstradition von der Apostelzeit existiert, dass vielmehr angefangen vom ersten Papst Petrus bis hin in die Neuzeit hinein die Verpflichtung zum ehelosen Leben der Presbyter, Diakone und Episkopen keine einheitliche Regelung existierte. Und selbst nachdem es sie gab (seitdem der Investiturstreit zugunsten des Papstes entschieden war und auf dem zweiten Laterankonzil 1139 die Ehelosigkeit für Priester Gesetz werden konnte), war in vielen Dorfgemeinden, wo es selbstverständlich war, dass der Priester einen Großteil seines Gehaltes durch den Unterhalt einer kleinen Landwirtschaft niemals ohne die Hilfe einer üblichen bäuerlichen Familie hätte bewirtschaften können, üblich, dass Priester Familie hatten. Wolf kann nachweisen, dass in Kirchenbüchern zwar nicht von Ehefrauen, sondern von „Köchinnen“ und deren Kindern die Rede war, die aber selbstverständlich dem Pfarrer zugeordnet waren. Deren Stellung war zwar prekär, weil nicht gesichert durch eine Ehe, aber doch waren sie vom Bischof geduldet und von der Gemeinde akzeptiert.

Interessant an den Thesen ist die historische Dekonstruktion von Argumenten, die gegen die Auflösung des Zölibats herangezogen werden. Besonders einleuchtend und aktuell relevant erscheint dabei die Dekonstruktion des spirituellen Arguments, das bis heute für den Erhalt des Zölibats vorgebracht wird, die da lautet: Nur durch den Verzicht auf Sexualität und Ehe könne sich der Priester ganz der Hingabe an Gott und an die Gemeindemitglieder widmen. Seit dem zweiten Vatikanum habe es, so Wolf, eine starke Spiritualisierung des Sakramentes der Ehe gegeben. Die Ehe werde dort als Bund beschrieben, der den Bund Gottes mit der den Menschen repräsentiere. Die Zölibatsverpflichtungsbegründung für Priester könne diese Bestimmung eines Sakramentes nicht toppen, so Wolf, denn sie sage ja indirekt, dass der Priester in dieser Hinsicht nicht den Bund Gottes repräsentieren könne, wenn er ehelos lebe (These zwölf). Es sei denn, das spirituelle Argument knüpfe an eine andere, wenn auch aus heutiger Sicht unheilige Tradition eines Augustinus und der Wüstenväter an, die Sexualität als einen Feind der Gottesbeziehung und in der Askese manichäischer Spielart die Höchstform humanen Lebens sahen (These fünf). Auch solche tiefen Widersprüche legt Wolf offen.

Die Tatsache, dass sich viele Konzilien, Bestimmungen und Erlasse mit der Einschärfung der Zölibatsverpflichtung beschäftigen mussten, spreche außerdem für die Tatsache, dass der Herrschaftsanspruch über die Körper und Seelen der Männer, die Priester waren und sind, nie vollkommen funktioniert habe, so Wolf.

Seit Eugen Drewermanns Buch „Kleriker“ von 1989, der sich vor allem dem zu verarmen drohenden Seelenleben der zölibatären Priester widmete und das Ideal des Priesterberufs psychologisch dekonstruiert hat und das im Zuge des Öffentlich Werdens von sexualisierter Gewalt durch Priester an Kindern als visionär zu bezeichnen ist, ist Wolfs Buch nun eine auf historischen Fakten basierende überfällige Ergänzung, die an Freimütigkeit und Diskursbereitschaft nichts zu wünschen übrig lässt.

 

Dr. Andreas Heek