Zoja, Das Verschwinden der Väter.

Luigi Zoja, Das Verschwinden der Väter. Aus dem Ital. von Rita Seuß. Walter, Düsseldorf – Zürich 2002. ISBN 3-530-40138-2. 294 Seiten, € 28,00.

 

Als eine Kulturgeschichte des Vaters und des Väterlichen bezeichnet der Klappentext das Buch des Mailänder Psychotherapeuten Luigi Zoja. Aber was für eine Kulturgeschichte! Zoja hat nicht in trockener und abgewogener Wissenschaftssprache eine gewichtige, anmerkungs- und literaturschwere Fachabhandlung geschrieben, sondern erzählt am Beispiel ausgewählter historischer Epochen zuweilen bewegend, oft provozierend, immer aber spannend von Vaterbildern, Vatermythen und vom Leben realer Väter, wobei er sich bewusst auf den abendländischen Kulturkreis konzentriert.

Zwei Grundannahmen des Verfassers prägen das Buch: Zum einen ist es die nicht neue These vom Vater als einem ausschließlich kulturellen Phänomen; diesem Aufweis dafür dient vor allen Dingen das erste Kapitel zur Vorgeschichte des Vaters in der Prähistorie. Zum anderen handelt es sich um die das gesamte Buch durchziehende Perspektive, dass das Vaterbild vom psychologischen Standpunkt aus „in der Antike seine höchste Ausprägung“ erfuhr (dies wird im zweiten Kapitel mit Rückgriff u. a. auf Homer und Vergil entwickelt) und „von da ab einen unaufhaltsamen Niedergang“ (S. 153) erlebte. Das „Verschwinden der Väter“ ist daher für Zoja nicht ein Prozess der (Post-)Moderne, sondern kulturgeschichtlich viel früher angelegt – eine spannende These, die zum kritischen Nachdenken und Nachfragen anregt, weil sie gewohnte Deutungen, die die Krise der Väter und der Väterlichkeit vor allen Dingen als ein Phänomen der Neuzeit begreifen, in Frage stellt.

Was aber nun ist verantwortlich für dieses Verschwinden? Dies ist das Thema des dritten Kapitels. Für Zoja ist es zunächst von der Spätantike bis an die Schwelle der Neuzeit das Christentum, dem er unter Berufung auf das Jesuswort in Matthäus 23,9 eine grundlegende Tendenz zur „Absetzung der väterlichen Autorität auf Erden“ zugunsten der himmlischen (S. 154) attestiert, und zum anderen Aufklärung und Französische Revolution, die dem Absolutismus des Vaters in der Familie und dem Absolutismus des Königs im Staat (S. 163) ein Ende bereiteten. Mit der industriellen Revolution schließlich – so Zoja – erlebte der Vater „seine dunkelste Stunde“ (S. 166), weil er nun durch die Trennung von Wohn- und Arbeitsbereich aus dem Blickfeld der Kinder verschwand und mit der Zeit faktisch wie kulturell „abwesend“ wurde. Das 20. Jahrhundert schließlich trug durch die beiden Weltkriege („Dieselben Männer konnten sich jetzt zuerst als Söhne erleben, die von ihren Vätern verlassen wurden, und dann als Väter, die ihrer Söhne beraubt wurden“ – S. 173) und durch seine totalitären Systeme mit ihren öffentlichen „mörderischen Vätern“ (S. 192) das Seine zum Niedergang der Väter bei.

So deutet Zoja im vierten Kapitel, nachdem er die väterliche Abwesenheit und Marginalisierung heute beschrieben hat, das in den letzten Jahren zu beobachtende gesellschaftliche, literarische und wissenschaftliche Interesse am Thema „Väter“ letztlich wie auch seinen eigenen Beitrag nicht als Untersuchung über, sondern „als Suche nach dem Vater“ (S. 257) und resümiert: „Die Abwesenheit der Väter war in allen Menschheitsepochen ein Problem. Neu und besorgniserregender wäre es, würde die Suche nach dem Vater nicht mehr stattfinden.“ (S. 262)

Im mittlerweile reichhaltigen Markt der Väterliteratur bildet Zojas in den USA und in Italien preisgekröntes Buch zweifellos ein Highlight. Ein empfehlenswerter Tipp für alle, die sich in der kirchlichen Männer- und Familienarbeit auch immer wieder auf die Suche nach dem Vater machen!

 

Andreas Ruffing

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