Scholz / Willms (Hrsg.), Postsozialistische Männlichkeiten in einer globalisierten Welt.

Sylka Scholz / Weertje Willms (Hg.), Postsozialistische Männlichkeiten in einer globalisierten Welt (Focus Gender 9). Lit, Berlin 2008. ISBN 978-3-8258-0999-7. 259 + II Seiten, € 19,90.

 

Es tut uns manchmal ganz gut, aus unseren bundesdeutschen Befindlichkeiten herausgerissen zu werden. Zum Beispiel durch den vorliegenden Sammelband, der die Entwicklung von Männlichkeitskonstruktionen vor und nach der Wende in Staaten des ehemaligen Ostblocks untersucht. Ein Thema vor unserer Haustür: Neben Russland, Polen und Bulgarien kommt auch der Osten Deutschlands in den Blick. Und zugleich ein befremdliches Bild: Fernab von unseren Debatten um Vätermonate etc. feiern im Osten Europas patriarchalische, nationalistische und militaristische Männlichkeitsmythen fröhliche Urständ!

Dabei war doch zu sozialistischen Zeiten von oben Gleichberechtigung verordnet worden. Freilich: Konsequent durchgeführt wurde diese Gleichberechtigung nicht. Die propagandistisch inszenierten Leitfiguren – die aus der Arbeiterschaft stammenden sozialistischen Helden (vgl. S. 11 ff. und öfter) – waren ganz überwiegend Männer; fast nur Männer besetzten die führenden Positionen in Staat und Wirtschaft. Und nach der Wende dann die Anknüpfung an vorkommunistische Geschlechtermuster jenseits heutiger Gleichberechtigungsvorstellungen.

Die ganz überwiegend Autorinnen schreiben zwar auch aus eigener Erfahrung. Ihr Zugangsweg ist – aufbauend auf der Theorie der hegemonialen Männlichkeit von Connell – aber meist die Literatur und Kunst, auch die Populärkultur; hier finden sie einen Spiegel der Gesellschaft. Einige Themen: „Männerbilder in der Fernsehserie Polizeiruf 110“ – „Transformationen von Männlichkeitskonstrukten in russischer Gegenwartsliteratur“ – „Abschied von Rittern (und Damen)? Literarische und bildnerische Dekonstruktionen der traditionellen Männlichkeit in der polnischen Kultur nach 1989“. Andere Aufsätze betrachten dagegen direkt die Lage der Männer und ihrer Männlichkeit in einer schwierigen Umbruchssituation, spüren Krisen (durch Arbeitslosigkeit etc.) ebenso nach wie neuen Typen des hegemonialen Mannes: etwas dem „bulgarischen Unternehmer“ oder dem staatstragenden, militärischen Helden des Russlands unter Putin. Zum Abschluss des Bandes widmen sich zwei Beiträge der theoretischen und methodischen Diskussion und der Zusammenfassung der Ergebnisse.

Leider kommen in dem empfehlenswerten Buch nur vier ehemalige Ostblockstaaten in den Blick. Dennoch lassen sich deutlich länderübergreifende Muster ausmachen – aber auch nationale Eigenheiten. Die neuen Bundesländer – die ehemalige DDR – scheinen unter den ehemals kommunistischen Ländern einen Sonderfall darzustellen, bedingt durch den Anschluss an die westdeutsche Gesellschaft. Dennoch sollte jede auf Deutschlandebene tätige Männerarbeit folgenden Hinweis ernst nehmen: Es „zeigen sich bis heute gravierende Unterschiede im ost- und westdeutschen Geschlechterverhältnis […], die dafür sprechen, dass sich auf der Alltagsebene bisher keine vollständige Anpassung an das westdeutsche Muster vollzogen hat. Die kulturellen und sozialen Konstrukte und Diskurse, die sich in der DDR entwickelt und verankert haben, wirken nach und amalgamieren sich in spezifischer Weise mit den westdeutschen Mustern“ (S. 246).

 

Martin Hochholzer

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