Petri, Das Drama der Vaterentbehrung.

Horst Petri, Das Drama der Vaterentbehrung. Chaos der Gefühle – Kräfte der Heilung (Herder spektrum 5769). 3. neu bearbeitete Auflage. Herder, Freiburg – Basel – Wien 2006. ISBN 3-451-05769-7. 224 Seiten, € 9,90.

 

Als im Jahr 1999 „Das Drama der Vaterentbehrung“ zum ersten Mal erschien, wurde es schnell auch in der kirchlichen Männerarbeit zu einem viel gelesenen Bestseller und sein Autor selber auch zu einem gerne gesehenen Referenten bei Veranstaltungen zum Thema. Nachdem das Buch 2002 in zweiter Auflage erschien, hat der Verlag Herder in diesem Jahr eine aktualisierte Fassung vorgelegt, in der Horst Petri, Psychoanalytiker in Berlin, im Wesentlichen die neuere Literatur eingearbeitet hat (vgl. das Literaturverzeichnis auf S. 221-224). Drei Auflagen in sieben Jahren: Auch dies ist als Indiz dafür zu werten, wie sehr doch der Autor einen Nerv getroffen hat – und nach wie vor trifft, denkt man an die aktuellen Debatten um die Familie.

Was zeichnet das Buch auch sieben Jahre nach seinem ersten Erscheinen immer noch aus? Zunächst einmal die Tatsache, dass der Autor differenziert an Fallbeispielen aus seiner Praxis unterschiedlichen Formen der Vaterentbehrung (Petri unterscheidet definitive „Vaterlosigkeit“, die schon ab der Geburt besteht, von einem „Vaterverlust“ durch Tod und einer familien- bzw. scheidungsbedingten „Vaterabwesenheit“) auf die Spur kommt und sie einfühlsam zu beschreiben vermag. Dann die Beobachtung, wie sehr diese Vaterentbehrungen Persönlichkeitsentwicklung und Lebensgeschichte der Betroffenen von der Kindheit bis ins Alter prägen und wie sehr ihre persönliche Bewältigung vom familiären und sozialen Umfeld gefördert oder auch gehemmt werden kann. Der Autor macht deutlich – und in dieser Verknüpfung des „Politischen“ mit dem „Privaten“ liegt eine weitere Stärke des Buches –, dass das persönliche Trauma der Vaterentbehrung eingebunden ist in ein kollektives Trauma mit erheblichen Folgen für die Gesellschaft, ein Trauma übrigens, das von Generation zu Generation weitergegeben wird (vgl. das sehr eindrückliche Kapitel über die generationenübergreifende Vaterentbehrung in der deutschen Gesellschaft auf S. 176-183). Und schließlich findet sich der für einen Psychoanalytiker durchaus bemerkenswerte Hinweis, dass von „allen Schritten zur Heilung und Prävention traumatischer Vaterverluste … ein neuer Geschlechtervertrag der erste und wichtigste“ (S. 185) ist. Die Heilung des Dramas der Vaterentbehrung ist also keineswegs etwas, mit dem der Einzelne, sein soziales und familiäres Umfeld (und womöglich auch sein Therapeut) alleingelassen werden sollten, sondern eine Aufgabe für Gesellschaft, Politik und Wirtschaft insgesamt. Und so wird Horst Petri auf den letzten Seiten seines Buches sehr politisch, wenn er sich etwa zur Steuer- und Rentenpolitik oder zum Kindschaftsrecht äußert. Er plädiert für einen „Neuen Generationenvertrag“ im Zusammenspiel mit einem „Neuen Geschlechtervertrag“ (S. 210) und fordert geschlechterdemokratisch orientierte Bündnisse zwischen Frauen und Männern statt Geschlechterkampf (S. 206). Natürlich klingt dies an manchen Stellen arg plakativ und angesichts der gesellschaftlichen Realitäten auch zuweilen wie ferne Zukunftsmusik. Dennoch: Wer am Thema interessiert ist und das „Drama der Vaterentbehrung“ noch nicht besitzt, dem sei diese aktualisierte Auflage in der günstigen spektrum-Reihe des Herder-Verlages auf jeden Fall wärmstens empfohlen.

 

Andreas Ruffing

 

 

 

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