McAllister, Rohes Fleisch und Dosenbier.

Peter McAllister, Rohes Fleisch und Dosenbier. Wie aus Menschen Männer wurden. Herder Verlag, Freiburg i.Br. 2010. ISBN: 978-3-451-30124-7. 277 Seiten.

 

Zu den Standardsätzen des Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki im legendären Literarischen Quartett gehörte die Frage: „Was will uns der Autor eigentlich sagen?“ Genau diese Frage stellte ich mir beim Lesen dieses Buches. Auf den ersten Blick scheint die Antwort einfach: Da macht sich ein australischer Paläoanthropologe auf eine Tour d’Horizon durch die graue Vorzeit über die Antike bis zum Mittelalter, um im Grunde nur eines zu beweisen: Im Vergleich zu unseren Vorfahren vor Tausenden von Jahren sind wir zeitgenössische Männer in jeder Hinsicht krasse Loser oder es mit seinen eigenen Worten zu sagen „Der schlechteste Mann aller Zeiten“. Das gilt in allen Bereichen: im Sport, im Krieg, in der Kunst und (ach ja!) auch in der Liebe. Dazu führt McAllister eine Fülle von Beispielen an. Wir erfahren, über welche Muskelkraft Neandertaler (und Neandertalerinnen) verfügten oder mit welcher Brutalität in der Antike – so würden wir es heute nennen – „Martial-Arts-Kämpfe“ geführt wurden. Wir hören, wie Männer vor 2000 Jahren unter für uns heute unvorstellbaren Bedingungen von antiken Ärzten operiert wurden oder welche extensive Schönheitspflege Männer in den Stammeskulturen durchführten.

Kein Zweifel: Das Buch ist flott und teilweise amüsant geschrieben. Langeweile kommt beim Lesen daher nicht auf. Doch die eingangs gestellte Frage bleibt bestehen. Denn was wir heute mit diesen Erkenntnissen eigentlich Konstruktives anfangen können, das hat sich mir nach der Lektüre der immerhin 277 Seiten nicht erschlossen. Diese Antwort bleibt McAllister bis zum Schluss schuldig. Hinzu kommen Fragwürdigkeiten in der Darstellung, besonders was die Benutzung der schriftlichen Quellen aus der Antike angeht. Man merkt: McAllister ist kein Historiker, der gewohnt ist, seine Quellen auf ihre Vertrauenswürdigkeit und ihren Wahrheitsgehalt kritisch zu befragen. Dass manche der dort gemachten Angaben möglicherweise auch Übertreibungen enthalten, wird noch nicht einmal in Erwägung gezogen. Peinlich und ärgerlich finde ich zudem die Bezüge, die McAllister in seiner Darstellung zu biblischen Worten herstellt. (S.8, S.277) Und ob der Herder Verlag gut beraten war, für die deutsche Ausgabe den – sorry! – dämlichen Titel „Rohes Fleisch und Dosenbier“ (der englische Originaltitel lautet übrigens: Manthropology. The Science of the Inadequate Modern Male“) zu wählen, lasse ich dahingestellt. Es mag ja sein, dass man sich davon eine verkaufssteigernde Wirkung erhofft. Aber das Buch gerät damit in die Ecke einer nicht ganz ernst gemeinten und letztlich belanglosen Sorte von „Männersachbuch“, das man(n) oder dann doch vielleicht eher frau augenzwinkernd an Männer verschenkt: „Das ideale Geschenk für den Gatten“, wie es der Verlag selber entlarvend anpreist.

 

Andreas Ruffing

 

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