Kastein, Gleichstellungsorientierte Männerpolitik

Mara Kastein, Gleichstellungsorientierte Männerpolitik unter Legitimationsdruck
Eine wissenssoziologische Diskursanalyse
Budrich, Opladen 2019

Die Autorin interessiert sich in ihrer Dissertation für die gleichstellungsorientierte Männerpolitik im deutschsprachigen Raum. Es geht ihr um die Akteure und damit natürlich auch um die Vereine und Organisationen in diesem Feld, die versuchen, einen Wandel der Geschlechterverhältnisse anzustoßen. Ausgangspunkt ist für sie das Paradoxum eines männlichen Engagements für Geschlechterpolitik, die sich automatisch gegen die Interessen von vielen anderen Männern richtet. So formuliert sie am Anfang des Buches Fragen nach dem Umgang mit dieser Situation durch die Organisationen. Die Untersuchung ist dabei kein Ländervergleich, sondern eine Analyse der deutschen Situation, erweitert um eine transnationale deutschsprachige Perspektive.

 

Zunächst wird die Geschichte der gleichstellungsorientierten Männerpolitik beschrieben. Sie beschreibt diese als Nachfolgerin unterschiedlicher Strömungen der Männerbewegung seit 1960er/ 1970er Jahren. Hier ging es darum, männliche Erfahrungen auszutauschen und das Verhalten von Männern zu reflektieren und zu ändern. Seit den 2000er Jahren lässt sich eine Institutionalisierung von Männerpolitik in Form von Integration von Jungen- und Männerthemen in die Bundespolitik und einer Zentralisierung von Anliegen in Verbänden ausmachen. Der Autorin geht es in ihrer Untersuchung um das politische Handeln der Akteure im Feld und nicht um Parteienpolitik. Es wurde also untersucht, wer in dem Feld der gleichstellungsorientierten Männerpolitik wie handelt. Dazu wurde für die Untersuchung der Organisationen eine Internetrecherche und für die Frage nach den handelnden Personen offene Leitfadeninterviews durchgeführt.

 

Als Ergebnis beschreibt die Autorin, dass die Sprecher in dem Feld gleichstellungsorientierter Männerpolitik eng an die eigene Biographie und Alter geknüpfte Rollen verkörpern. Die junge Genration in diesem Feld kennzeichnet dagegen eine pragmatische und unpolitische Herangehensweise an die Arbeit. Weiterhin kommt sie zu dem Schluss, dass trotz ihrer Entstehungsgeschichte aus der Frauenbewegung und ihrer Orientierung an der Geschlechtergerechtigkeit die gleichstellungsorientierte Männerpolitik in der Öffentlichkeit kaum gehört wird. Zusätzlich habe sie im öffentlichen Diskurs teilweise keine Legitimität und damit auch keine autorisierte Sprechposition.

 

Allerdings gehören die meisten Akteure gleichstellungsorientierter Männerpolitik der Position des weißen, heterosexuellen Mannes an. Gleichstellungspolitik sollte aber nach der Meinung der Autorin für Personengruppen einstehen, die durch ihr Geschlecht oder ihre Sexualität, zunehmend auch durch Hautfarbe, Herkunft, Religion u.ä. Diskriminierungen erfahren. Wie kann dann ein geschlechterpolitischer Diskurs ausgehen, der das Geschlechterverhältnis fokussiert, das strukturell von Ungleichheiten zu Ungunsten von Frauen durchzogen ist? Nach Meinung der Autorin müsste zuerst eine Bewusstwerdung der eigenen Privilegierung erfolgen, die dann in konkrete politische Aktivitäten übersetzt wird. Die Ergebnisse der Autorin zeigen das Dilemma gleichstellungsorientierter Männerpolitik auf. Und sie kommt noch zu einem zweiten Schluss: männerpolitische Organisationen werden auch von vielen Frauenorganisationen oder Wissenschaftler*innen als Verbündete für die Beseitigung der Hindernisse auf dem Weg zur Geschlechtergerechtigkeit zugelassen; die Themen müssen aber zuvor von der etablierten Gleichstellungspolitik, der Geschlechterforschung sowie vom öffentlichen Diskurs artikuliert worden sein.

 

Als eine Geschlechterpolitik, die größtenteils vonseiten einer gesellschaftlich noch immer privilegierten Gruppe aus geschieht, muss sie sich selbst und ihrer Zielgruppe einen Verzicht und die Abgabe von Macht und Privilegien auferlegen. Sie ist herausgefordert, auf eine Abgabe und damit eine Reduktion hinzuwirken und hierfür zu mobilisieren.

 

Für grundsätzlich an Fragestellungen einer Weiterentwicklung der Männerpolitik Interessierten eine interessante Analyse, die zur Diskussion anregt. Beim Lesen des Buches habe ich mich allerdings immer wieder gefragt, ob die beschriebene Privilegierung nach Meinung der Autorin für alle Männer gilt und ob gleichstellungsorientierte Männerpolitik verschiedenen Ziele neben der Geschlechtergerechtigkeit wie beispielsweise ein besseres Männerleben dienen kann? Das Buch zeigt meines Erachtens einen Ausschnitt aus einer größeren Debatte.

 

 

Jürgen Döllmann

Stichworte: Studien und Untersuchungen, Feminismus, Männlichkeit,

 

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