Fastenimpulse 2021 – Palmsonntag

24/7

Berufsalltag. Ich komme in mein Büro, fahre den PC hoch und klicke mich als Erstes durch zu meinem elektronischen Postfach. Puh, schon am frühen Morgen so viele neue Nachrichten. Ich spüre es: Einige sollten direkt beantwortet werden. Und wenn ich das jetzt nicht mache, dann muss ich es später machen. Andere haben Zeit, doch die muss ich dann erst einmal wegsortieren. Und wieder andere müssen vielleicht gar nicht beantwortet werden, dafür sollte ich sie aber doch gelesen haben und dann ist da noch Einiges an Werbung. Hier kann vieles direkt in den Papierkorb, doch manchmal ist auch hier schon mal etwas Wertvolles dabei…, also doch mal kurz einen Blick darauf werfen… Ich frage mich, warum ist das Bearbeiten der Post so anstrengend geworden? Warum vergeht mit dieser Bearbeitung oft ein ganzer Vormittag damit, bevor ich zu den Dingen komme, die ich mir vorgenommen habe, die zu meiner Agenda und nicht nur zu meiner Re-Agenda gehören? Dabei ist noch nicht einmal berücksichtigt, dass ich auch ein Handy besitze, bei dem pausenlos Whatsapp-Nachrichten oder Meldungen von Instagramm oder Facebook eintrudeln…

Wie war das denn früher, als die Post noch in Briefen und Karten gebündelt zu mir kam? Ich versuche mich zu erinnern. Da konnte schon – anders als ein Durch-Klick – ein erster Durchblick die Spreu vom Weizen trennen. Bei der dienstlichen Post war die Adresse mit der Maschine geschrieben. Die persönlichen Briefe trugen in der Regel eine persönliche Handschrift. Werbung kam meist in bunten Farben daher… Was heute in meinen E-Mail –Account landet, kommt alles in gleicher Aufmachung daher und suggeriert mir das Gefühl von grundsätzlicher Dringlichkeit, bevor ich sie nicht sortiert habe. Nehme ich das nicht ernst und verschiebe ich ihre Bearbeitung, so wandern sie die Mails in die Tiefen meines Unterbewusstseins, wo sie von mir unbemerkt meine Aufmerksamkeit fressen und bei langfristigem  Aufschub schließlich zu „Leichen im Keller“ meines Gehirns werden.

Was gibt diesen per W-Lan-Verbindung oder Handymast vermittelten Nachrichten diese Dringlichkeit und diese Macht, in meinem geistigen Immunsystem anzudocken und dort ihr „Unwesen“ zu treiben? Natürlich sind das alles technische Errungenschaften mit einem auch segensreichen Potential. Doch irgendetwas in mir ist nicht gut vorbereitet, ist dem Ansturm der Nachrichtenflut nicht gewachsen. ..

Mir fallen dazu drei Dinge ein:

Erstens: Ich habe den Nachrichtendiensten, ohne es richtig zu merken, 24/7 (24 Stunden/7 Tage lang) – Zugänge ermöglicht und dadurch auf dem Weg in mein Inneres Tür und Tor geöffnet. Es sind offensichtlich  natürliche Hindernisse und Schranken verloren gegangen, die früher der Nachrichtenübermittlung vorgeschaltet waren. Man denke nur an den Botschafter, der den Athenern den Sieg bei Marathon nach einem Lauf von über 40 km überbrachte. Aber auch 2000 Jahre danach war noch ein Schwätzchen mit dem Briefträger möglich, bevor man die Post öffnete.  Aber auch das geht schon wenige Jahre danach nicht mehr, weil dieser auf seinem dienstlichen Marathon-Lauf kaum aufgehalten werden will. Anscheinend sind die elektronischen Klicks im Computer den neurologischen Schaltvorgängen in meinem Gehirn so ähnlich, dass ich bei genauem Hinsehen feststellen kann, dass sich durch die ständig zunehmenden PC-Aktivitäten sowohl meine neurologischen Reaktionen beschleunigt wie auch meine Interaktionen zugenommen haben

Zweitens: Die „Unübersichtlichkeit“ und „Diversität“ des Lebens ist ein Markenzeichen der Postmoderne geworden. Wie ein Tsunami stürzt eine Nachrichtenflut aus allen möglichen Lebensbereichen auf uns zu. Dabei fehlen nicht nur Hindernisse und Schranken, es fehlen auch die Filter in uns, die uns helfen, schon vorsortieren und in der Informationsflut das Wichtige vom Unwichtigen scheiden könne.  Alles scheint erst einmal dadurch gleich wichtig und dringlich, dass es mich persönlich, unkompliziert und unmittelbar erreichen kann.

Drittens: Neben dem Diktat der modernen Schnelllebigkeit und dem Diktat der Fülle gibt es auch noch das Diktat der Effizienz. Ich möchte zielstrebig sein und möglichst schnell mein Pensum erledigen. Dazu gehört, alles im Blick zu behalten und alles möglichst zu nutzen, was sich mir an Lebensmöglichkeiten bietet.

Wollen, Haben, Tun – das sind laut der Mystik-Autorin E. Underhill die Schlüsselwörter für den Menschen heute. Ich beobachte mich und stelle fest: Ja, meistens will ich etwas tun oder haben. Dabei vergessen wir, dass keines dieser Wörter eine tiefere Bedeutung hat, wenn es nicht durch ein anderes Wort „transzendiert und umhüllt“ wird: Sein.

Und darum geht es wesentlich.

Jetzt, wo ich Rentner bin, stelle ich fest, dass mein berufliches Tun zu wenig durch „Sein“ transzendiert und umhüllt war. Ich habe es lange erlebt und ich weiß:  Es ist nicht leicht, dieser Spur im beruflichen Alltag zu folgen und dem Geheimnisvollen und scheinbar Unnützen Raum zu geben, doch es ist unerlässlich, um unserer Bestimmung auf dieser Erde mehr gerecht werden zu können: Sein. Einfach Sein. Sich daran freuen, einfach sein zu können. Einfach leben und sich daran freuen, dass man leben darf. Das ist schon sehr viel. Das ist ein großes Geschenk.

In jedem Terminkalender sollte fürs einfache Sein Platz reserviert, ja rot markiert sein. Der amerikanische Schriftstelle H.D. Thoreau hat es vorgemacht. Er war ein viel beschäftigter Mann und politisch sehr engagiert, doch er ging für 2 Jahre in die Einsamkeit und tat … nichts. Im Fastenhirtenbrief von Bischof Heiner Wilmers fand ich die Einladung bzw. Empfehlung, sich „Auszeiten“ zu nehmen im Gebet, um den Urgrund des Lebens immer neu zu spüren. Nach Teresa von Avila ist dieses stille Beten wie das Verweilen bei einem Freund. In ihm strecken wir durch den Alltag hindurch unseren transzendenten, spirituellen Wurzeln tief in den Grund unseres Seins.

Wer sich vielleicht dem Gebet entfremdet hat, der kann auch einfach durch eine halbe Stunde „Auszeit“ draußen im Garten, Wald oder Park zur Besinnung kommen. Jetzt im Frühjahr einfach mal den Vögel zusehen oder lauschen und… sonst nichts tun. Einfach nichts tun. Einfach etwas weglassen, was auf meinen ersten Blick effizient erscheint und verstehen: Es ist schon so vieles einfach da, was wir brauchen zum Leben.

Norbert Caspers

 

 

 

 

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