Fastenimpuls – 5. Fastensonntag

 

Aus den Gräbern steigen. Wo Geist lebendig macht.      

Im Oktober ist meine Mutter gestorben, gestern mein Vater. Ich liebe meine Eltern, sie haben mir Wurzeln und Flügel für das Leben gegeben. Tiefe Dankbarkeit spüre ich, dass sie mir Gottvertrauen und Urvertrauen in reichem Maß vermittelt haben. Durch den Tod bricht etwas weg. Der Tod ist ein garstiger Geselle. Starke Gefühle brechen sich Raum. Trauer und Ängste sind körperlich spürbar. Mein Verstand tröstet mich, dass der Tod für meine alten, kranken, dementen Eltern etwas Befreiendes hat. Mein Glaube sagt mir: Die Liebe und das Leben sind stärker als der Tod. Gott hat einen Plan, den ich heute noch nicht durchschaue. Selbst Jesus hat sich damit schwergetan, aber ist den Weg mit Vertrauen gegangen. Trotz dieses christlichen Trostes gehört diese Zeit zu den trüben Tagen in meinem Leben. In mir wächst die Sehnsucht nach Sonne, Frühling, Ostern.

Die Erfahrung mit dem Tod, trifft mich zu Beginn der Corona- Krise. Nur mit Sondergenehmigung durfte ich ans Sterbebett im Pflegeheim. Noch ist unklar, wie wir die Trauerfeier gestalten können. Meine persönliche Krise ist nur ein ganz kleiner Teil einer großen gesellschaftlichen Krise, einer Krise der gesamten Menschheit. Wir alle sind in eine unfreiwillige Fastenzeit gestoßen, mitten in der österlichen Bußzeit. Wie schön wäre es, wenn zu Ostern Entwarnung gegeben werden könnte, weil die nie dagewesenen Maßnahmen gewirkt oder gar eine medizinische Jubelnachricht verkündet werden kann.

Szenenwechsel:

Ich liege in einem Grab mitten in der Nacht. Steine, Erde und Gehölz liegen unter und auf meiner nackten Haut. Ich blicke vorbei an Ästen von hohen Bäumen in den Sternenhimmel der Toskana. Die Erfahrung ist Teil eines christlichen Rituals der Männerwoche „Mut und Kraft“ der Männerarbeit der Erzdiözese Freiburg. Alles ist still, nur meine Gedanken nicht. Wie fühlt es sich für mich an in einem Grab zu liegen? Wäre ich hier und heute bereit meinen Tod anzunehmen? Was hat mein Leben bis hierher so wertvoll gemacht? Was und wen muss ich im Tod lassen? Glaube ich an Auferstehung und ein ewiges Leben? Es wird kalt und ungemütlich in diesem Grab. Lang sind die 10 Minuten Grabeszeit.

Dann endlich rufen die Männer laut meinen Namen. Dreimal: Michael, steh auf! Ich befreie mich von Erde, Stein und Ballast, steige aus dem Grab und werde im Kreis der Männer gefeiert und willkommen geheißen. Ich fühle mich unheimlich lebendig und mit einer neuen, tiefen Sehnsucht nach Leben erfüllt. Ich tanze, singe und feiere stundenlang.

Ich bin dankbar für die Erfahrung dieses außergewöhnlichen Rituals. Alle christlichen Rituale haben den Dreischritt: Abschied/Tod, Grabeszeit und Auferstehung als Grundmuster. Dies so intensiv erleben zu dürfen ist nachhaltig bei mir verinnerlicht. Wie Phönix aus der Asche, wie Jonas aus dem Bauch des Fisches, wie Elija aus der Depression am Ginsterbusch und wie Christus am Ostermorgen gibt es auch in meinem Leben die Erfahrung von Tod und Niedergeschlagenheit, aber auch die Erfahrung der heiligen Geisteskraft, die von ganz innen mich durchströmt, Heil und Freude schenkt und ins Leben ruft.

Vielleicht befinden wir uns in der Corona-Krise auch in einer Art Grabeszeit. Wir haben uns von unseren Alltagsgewohnheiten verabschieden müssen und harren nun der Dinge, die auf uns zukommen, manchmal ängstlich und in zunehmendem Maße sehnsüchtig. Wir können die Zeit nutzen, um uns auszurichten, das Wesentliche in den Blick zu nehmen, der Schöpfung-Natur Erholung zu gönnen, menschliche Solidarität neu zu entwickeln oder wieder aufleben zu lassen und voll Erwartung auf Auferstehung, ein Leben in einem neuen Licht, menschliche Nähe und ein Leben in Fülle zu hoffen.

Michael Rodiger-Leupolz

Biblischer Bezugstext: Ez 37, 12b-14

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