Es kommt ganz anders …
Die Jünger – so erzählt Lukas in seinem Evangelium – jubeln, als Jesus in Jerusalem ankommt auf einem Esel in die Stadt zieht. Was haben sie erhofft? Vielleicht haben sie geglaubt, dass die gesamte Jerusalemer Bevölkerung wie sie selbst diesen Mann als König über Israel und Retter des Volkes begrüßt. Und sie haben womöglich weiter gehofft, dass mit seiner Ankunft in der Stadt Davids das Ende der Römerherrschaft eingeläutet wird. Wenn dies ihre Erwartungen waren, wurden diese ganz sicher bitter enttäuscht. Denn auf den Jubel des Palmsonntags folgt das Grauen des Karfreitags. Es kommt ganz anders …
Es ist noch nicht einmal ein halbes Jahr her, dass die neue Bundesregierung ihre Amtsgeschäfte aufgenommen hat. Von Aufbruch und Fortschritt in den Bereichen Klimaschutz, Digitalisierung und wirtschaftliche Transformation sprach der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung am 15. Dezember. Und dann kam der 24. Februar, die viel beschworene Zeitenwende: der verbrecherische, brutale Krieg Russlands mitten in Europa, der von einem Tag zum anderen alles verändert, der Tod, Leiden und Flucht über so viele Menschen in der Ukraine gebracht hat und weiterhin bringt. Und der auf einen Schlag politische Pläne und Vorhaben über den Haufen wirft sowie neue Unsicherheiten und Risiken für uns alle mit sich bringt. Es kommt ganz anders …
Was wird uns die Zukunft bringen? Wir wissen es nicht. Trotz aller Prognosen, die uns kluge Menschen zur Verfügung stellen. Trotz aller Planungen, die wir selbst machen. Trotz aller Zukunftsvorsorgen, die wir treffen. Die Zukunft liegt offen vor uns, sie birgt Unerwartetes, nicht Kalkulierbares, nicht Kontrollierbares, ja, sie kann lebensgefährlich sein. Und plötzlich merken wir: Wir Männer haben nicht alles im Griff. Ich habe nicht alles im Griff. Schon die Corona-Pandemie hat das schmerzhaft vor Augen geführt. Es kommt ganz anders …
Die Jünger – so berichtet Lukas in seinem Evangelium weiter – reagieren auf das ganz Andere des Karfreitags mit Wegducken oder gar Verleugnen wie Petrus. Der Palmsonntag ist Vergangenheit. Und wo sind sie, als Jesus am Kreuz stirbt? Sie gehen auf Distanz zum Gekreuzigten: „All seine Bekannten standen in einiger Entfernung“. Und Lukas vergisst nicht zu erwähnen, dass es nicht nur die Männer sind, sondern „auch die Frauen, die ihm von Galiläa aus nachgefolgt waren und die dies mit ansahen.“ (Lukas 21,49)
Ich lade ein, für ein paar Minuten mit sich selbst ehrlich ins Zwiegespräch zu gehen:
- Wie reagiere ich, wenn es in meinem Leben ganz anders kommt als ich es geplant oder erhofft habe?
- Wo finde ich den Mut, trotz aller Ungewissheiten und Risiken weiter zu gehen oder auch ganz neu anzufangen, wenn Altes gescheitert ist?
Zum Nachlesen: Lukas 19,18-40
Andreas Ruffing