El Masrar, Muslim Men

Sineb El Masrar, Muslim Men.
Wer sie sind, was sie wollen, Freiburg i.Br. 2018

Auch wenn nicht alle aus dem arabischen Raum eingewanderten Männer gläubige Muslime sind, so sind sie doch alle von einer Kultur geprägt, in der die Rolle der Männer klar definiert ist: stark, machohaft, dominant, Frauen regierend. So definiert Sinib El Masrar Männer mit arabischem Migrationshintergrund. El Masrar ist Journalistin mit deutsch-marokkanischem Hintergrund, und entsprechend geht sie vor. Sie interviewt Männer ihres Alters, also einer jüngeren Generation in „Nahaufnahme“ und deren Väter, Brüder, Cousins etc., sie recherchiert in ihrem Umfeld und verbindet dies stets mit ihrer persönlichen Einschätzung und Erlebnissen als moderne, emanzipierte junge Frau.

Dabei herausgekommen ist ein gut lesbares, informatives, mitunter unterhaltsames Buch, das den Ernst der Sache kulturell muslimisch geprägter Männer erkennt, aber nicht bereit ist, die Verheerungen zu akzeptieren, die die Seelen der Männer ertragen müssen. Vieles, das sie ablehnt, erträgt sie offenbar nur mit Humor. Sie ist aber dabei keineswegs zynisch. Erhellend ist zum einen ihre Analyse des klischeemäßigen jungen Mannes. Weil er selbst von seinem eigenen Vater unterdrückt und bisweilen misshandelt wird, bricht er heimlich aus und lebt Frustration und Aggression außerhalb des Familienclans aus. Dies führe, so El Masrar, zwangläufig in die Gesetzmäßigkeit von Selbstentfremdung und Unterdrückung Schwächerer. Diese Dynamik präge auch ihr Umgang mit Frauen.

Andererseits zeigt die Autorin, dass es um die Seelenlage muslimischer Männer nicht weniger „bunt“ bestellt ist wie bei hiesigen, „bio-deutschen“ Männern. Auch unter Muslimen gibt es Homosexuelle, Imame, die Dienste von (männlichen) Prostituierten in Anspruch nehmen, Männer, die sich vom Geflüchteten Status zum Polizisten hocharbeiten und junge Männer, die es nicht schaffen, sich aus der großfamiliären Sackgasse zu befreien und klischeehafte Männerrituale pflegen – und bei modernen, emanzipierten Frauen nicht ankommen.

All dies berichtet die Autorin in manchmal durchscheinendem frustriertem oder aufbegehrendem Ton, weil sich ihrer Ansicht nach immer noch nicht genügend ändern würde in der muslimischen Community. Für sie als junge Frau ist es schwer mitanzusehen, wie viele junge Männer vom „Rockzipfel der Mutter“ nicht loskommen (bzw. wie viele Mütter von den „Hosenbünden der Jungen“ nicht loskommen) und der väterlichen Gewalt nicht entkommen. Es fehlt ihrer Ansicht nach an einem innerlichen Ankommen in einer Gesellschaft, das nicht einer Kultur des Clanwesens verpflichtet ist, sondern jedem Individuum die Möglichkeit gibt, sich zu entfalten. Es gebe zu viel Doppelmoral und Unehrlichkeit in dieser geschlossenen Welt.

Vielleicht kann ein solches Buch nur ein Mensch mit muslimischem Hintergrund schreiben, ohne sich des Vorwurfs des Rassismus‘ gefallen lassen zu müssen. Die Autorin geht schonungslos ehrlich mit „Ihresgleichen“ um. Vielleicht kann sie es auch, weil sie nicht nur einen muslimischen Hintergrund hat, sondern auch noch dazu eine Frau ist. Sie beschreibt schonungslos die Scheinheiligkeit sogenannter muslimischer Werte, die aber in Wahrheit vor allem als Machtinstrumente entlarvt werden.

Bevor aber diejenigen jubeln, die es „sarazinmäßig“ schon immer gewusst haben, wie „die“ Muslime sind, mögen sie sich daran erinnern, dass es auch im „christlichen Abendland“ viel Scheinheiligkeit im Namen vermeintlicher „Ehrenhaftigkeit“ gab und gibt. Auch Christen wissen oft sehr genau, wie eine Familie auszusehen hat, welche sexuelle Orientierung man zu haben hat und wie ein Mann zu sein hat.

Vor allem aber ist die Autorin weit davon entfernt, all diejenigen Männer zu verurteilen, die gefangen sind im Netz überbrachter Traditionen. Vielmehr möchte sie sie aufrütteln und auffordern, sich zu befreien und – ja – sich zu emanzipieren, um ganz und gar zu sich selbst zu finden, jenseits von Gewalt, Männlichkeitswahn und Selbstbetrug. Indirekt fordert sie die ganze Gesellschaft auf, sie bei dieser Befreiung zu unterstützen. Dies ist ganz das Gegenteil vom „Zuschreibungsghetto“, in das manche Skeptiker Migranten mental abschieben wollen.

Dieses Buch ist ein wertvoller Beitrag zur Debattenkultur über „Muslim Men“. Es ist erhellend, aber stets menschenfreundlich und im Ton meistens entspannt. Das tut der aufgeheizten Diskussion in unserer multikulturellen Gesellschaft gut.

Dr. Andreas Heek

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