Knieling / Ruffing (Hrsg.), Männerspezifische Bibelauslegung.

Männerspezifische BibelauslegungReiner Knieling/Andreas Ruffing (Hg.), Männerspezifische Bibelauslegung. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht 2012. ISBN 978-3-525-61617-8. 255 Seiten.

 

Unter dem Titel „Männerspezifische Bibelauslegung“ legen Reiner Knieling und Andreas Ruffing in Zusammenarbeit mit elf katholischen und evangelischen Theologen einen kompakten Sammelband vor, der vielfältige Anregungen für eine männliche Sicht auf biblische Texte ermöglicht. Nach feministischer Exegese, Männerstudien und theologischer Männerforschung ein längst fälliger Schritt hin zu einer Durchdringung wissenschaftlicher Bibelexegese mit der Brille einer bewussten Männlichkeit. Sie nennen ihr Anliegen „männerspezifisch“, in der Tradition kritische Männerforschung und „Bibelauslegung“, weil sie einen „kritischen Dialog zwischen Männererfahrungen und Männlichkeitskonzepten der Bibel und der Erfahrungswelt heutiger Männer unter dem Maßstab der Geschlechtergerechtigkeit“ initiieren wollen. (S. 8) Der Band gliedert sich in drei Teile: Altes und Neues Testament sowie ein abschließender kurzer Praxisteil.

Johannes Taschner beginnt mit den alttestamentlichen Jakoberzählungen und plädiert im Horizont ästhetischer Erfahrungen die Texte in ihrer Vielfalt zu verstehen. Er schlägt einen überraschenden Bogen vom Bildungsmisserfolg männlicher Jugendlicher hin zur Jakobgeschichte und zeigt auf, wie hegemoniales männliches Dominanzstreben aufgebrochen und umgewandelt werden kann. In dem Beitrag „Männer als Opfer“ wendet Detlef Dieckmann Erkenntnisse moderner Gewaltforschung auf die Erzählungen der Genesis an und analysiert häusliche und außerhäusliche Gewalterfahrungen von Menschen durch Männer, Frauen und auch durch Gott. Am Ende resümiert er: „Weil in kaum einer dieser Geschichten auch nur der Ansatz einer ethischen Bewertung oder moralischen Verurteilung der Handelnden zu sehen ist, eignen sich die biblischen Geschichten in der Praxis im besonderen Maße als Spiegel, in dem Männer und Frauen nicht nur ihre eigenen Erfahrungen als Opfer, sondern auch als Täter/innen wiedererkennen können.“ (S. 60) Matthias Millard macht sich auf die Suche nach Traditionen, die patriarchalische Herrschaft ins Wanken bringen und wird fündig im Buch der Richter, wo nicht nur Frauen in besonderen Rollen (Deborah) auftauchen und deren Berufung anerkannt wird, sondern auch Männer als Versager beschrieben werden, die im Scheitern immer wieder auf die Hilfe der Frauen angewiesen sind. Als eine Einführung für junge Männer in die Lebens- und Liebeskunst entdeckt Walter Bühlmann das Hohelied der Liebe, in Analogie aber auch Abgrenzung zu den Geschlechtervorstellungen in Gen 2 und 3. Dabei ist in die Beziehung von Mann und Frau der erotisch-sexuelle Bereich harmonisch eingeschlossen, jenseits allen hegemoniellen Männlichkeitsstrebens. Dabei zeigt sich: „Nirgends ist die Gleichheit der Geschlechter im Ersten Testament selbstverständlicher als im Hohenlied. Mann und Frau beschreiben sich teilweise mit denselben Vergleichen und Metaphern, erfreuen sich an der gegenseitigen Schönheit.“ (S. 93) In einem sehr profunden Beitrag durchleuchtet Georg Fischer das Buch Jeremia unter dem Gesichtspunkt männlichen Rollenverhaltens. Vor allem in der Person des Propheten, seinem Leiden und seiner Emotionalität belegt er eindrücklich die ungewöhnliche Aufsprengung gängiger männlicher Rollenklischees im damaligen Israel. Dabei legt er einen Schwerpunkt auf die sog. Trostrolle (Kapitel 30 und 31), die sich mit ihren Heilszusagen abwechselnd an männliche bzw. weibliche Personen und Gruppen wendet und stellt fest: „Es gibt keinen anderen Text in der Bibel, der beide Geschlechter so konsequent strukturell nebeneinander stellt und schon dadurch deutlich macht, dass sie zueinander gehören und einander ergänzen. (S. 111)

Martin Leutzsch reflektiert einleitend das NT als ein Buch von Männern für Männer und  entdeckt jedoch bei genauerer Betrachtung eine Vielfalt von Männlichkeiten im Plural in unterschiedlichen antiken Kulturen einer römisch, griechisch und jüdisch geprägten Welt. Er nimmt ausführlich Männerrollen, männliche Lebensphasen sowie Schicht und Status in den Blick und geht unterschiedlichen Akzentuierungen von Jesu Männlichkeit in den Evangelien nach. Demgegenüber richtet Peter Wick den Fokus auf das Verhältnis Jesu zu den Frauen und erkennt darin ein besonderes, wechselseitiges Beziehungsgeschehen, während die Männer eher in hierarchischen Strukturen zielgerichtet nachfolgen. Thomas Popp begibt sich auf eine männerorientierte Wanderung durch das Johannesevangelium und wirft einen vertiefenden Blick auf zwei markante Gestalten: Johannes der Täufer und der Lieblingsjünger. In seinem ironisierenden Essay erläutert Peter Lampe das Gebot des Paulus im 1. Korintherbrief, die Frauen sollten im Gottesdienst ihr Haar verschleiern. Er deckt die Argumentation des Paulus als von persönlichen und kulturellen Voreinstellungen beeinflusst  auf und ermutigt zu einer mündigen Freiheit gegenüber diesem Text, gerade auch aufgrund anderer paulinischer Aussagen, die einer Gleichwertigkeit der Geschlechter wesentlich näher kommen.

In den beiden praktischen Beiträgen am Ende sucht Raimund Loebermann nach Bedingungen, damit Männer und biblische Texte sich annähern können. Es braucht einen „Guide“ mit Kopf, Herz und Bauch, der den Männern in echter Solidarität begegnet und sie in ihrer eigenen theologischen Kompetenz ernst nimmt. Volker A. Lehnert bietet anschauliche und modellhafte Predigtskizzen zu den biblischen Männern Simson, David und Petrus, die im Männergesprächskreis für die Gottesdienste des Männersonntags vorbereitet wurden.

Der Band nimmt den Gedanken der Diversity (Vielfalt) auch für eine männlichkeitsbewusste exegetische Forschung ernst, bietet exemplarisch und mit unterschiedlicher Intensität neue Anregungen, zeigt künftige Forschungsvorhaben auf und gibt in ausführlichen Anmerkungen viele weiterführende Impulse. Der Band ist auch für weniger theologisch Versierte gut zu lesen und stellt einen ersten Baustein dar für alle, denen Männer, Bibel und Glaube am Herzen liegen.

 

Volker Linhard

 

 

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