Rohr, Der befreite Mann. & Endlich Mann werden.

Richard Rohr, Der befreite Mann. Biblische Ermutigungen. Verlag Katholisches Bibelwerk, Stuttgart 2005. ISBN 3-460-32109-1. 79 Seiten, € 9,95.

 

Richard Rohr, Endlich Mann werden. Die Wiederentdeckung der Initiation. Claudius, München 2005. ISBN 3-532-62325-0. 240 Seiten, € 16,80.

 

Zwei Männerbücher des bekannten amerikanischen Franziskaners Richard Rohr sind in diesem Frühjahr erschienen. Zum einen handelt es sich um ein schmales Bändchen mit Betrachtungen des Autors zu verschiedenen biblischen Männergestalten. „Dieses Buch ist nicht nur für Männer gedacht und nicht nur für Christen … Ich hoffe sehr, dass besonders Männer ihre Spiritualität bereichern können durch diese Männer in der Bibel … Dieses Buch ist eine Einladung dazu, unsere Seele durch die ihren berühren zu lassen“ (S. 7), so umreißt R. selber das, was ihn beim Schreiben dieses Buches bewegt hat. Den Titel der amerikanischen Originalausgabe „Soul Brothers – Men in the Bible speak to Men today“ finde ich daher viel stimmiger als den vom deutschen Verlag gewählten Titel „Der befreite Mann“, bei dem wohl bewusst angestrebte Assoziationen an R.s Klassiker „Der wilde Mann“ eine Rolle spielen. Wie bei Anselm Grüns Männerbuch „Kämpfen und Lieben“ (s. Besprechung) finden sich auch in R.s Büchlein die fast schon erwarteten biblischen Männergestalten wie Abraham, Mose und David aus dem Alten Testament oder Petrus, Paulus und Johannes der Täufer aus dem Neuen Testament. Und wie Grün beendet R. sein Buch mit einem Kapitel über Jesus, „den Archetyp des Menschen“ (S. 73). Aber auch Gestalten wie Timotheus, dem Begleiter des Paulus, und dem vorexilischen Propheten Jesaja, sonst in der vergleichbaren Literatur eher stief-„väterlich“ behandelt, wendet sich R. in seinen Betrachtungen zu. Wer R. aus seinen früheren Veröffentlichungen kennt, dem kommt natürlich vieles bekannt vor, so besonders stark beim Kapitel über David der mythopoetische Rekurs auf die männlichen Archetypen König, Krieger, Liebhaber und Magier, das Stichwort der „Vaterwunde“ im Kapitel über den alt- und neutestamentlichen Josef oder auch die durchgehenden kirchenkritischen Akzente, so z. B. deutlich im Petrus-Kapitel. Nichtsdestotrotz ist es gerade auch für diejenigen, die Rohr schon kennen, spannend und anregend zu lesen, wie er die biblischen Männergestalten und die überlieferten Geschichten um sie erschließt, was er darin an Lebens- und Glaubensthemen (nicht nur) für Männer heute entdeckt, welche Spuren er darin verfolgt und welche Akzente er setzt. Ein Buch also für an der Bibel und ihren Männergestalten interessierte Lesern (und Leserinnen), die Impulse – in der Zustimmung wie gewiss auch zuweilen im Widerspruch – für ihr (spirituelles) Leben erwarten. Eine Anmerkung noch zum Schluss: Das Vorwort des Buches zitiert in wörtlicher Rede R., ist also offensichtlich nicht von ihm geschrieben. Ungewöhnlich, dass nicht angegeben ist, wer das Vorwort verfasst hat.

 

Richtet sich das gerade besprochene Buch an einen breiteren Kreis von Interessierten, zielt das zweite zu besprechende Buch nun vor allen Dingen auf alle, die – in welchen Zusammenhängen auch immer – im engeren Sinne „Männerarbeiter“ respektive spirituelle Wegbegleiter von Männern sind. Das Buch liest sich dabei – und ist wohl auch so beabsichtigt, man beachte nur das Vorwort – wie eine Summe dessen, was Richard Rohr über viele Jahre zum Thema Initiation und Initiationsriten von Männern erfahren, gestaltet, gelesen und reflektiert hat. Und selbstverständlich findet sich im Buch wiederum der schon bekannte mythopoetische Diskurs der vier männlichen Archetypen noch breiter als vorher rezipiert wieder. R.s Grundthese ist ja, dass „eine wahrhaft spirituelle, weise Initiation … alle vier Anteile des Mannes [nämlich des Königs, Kriegers, Liebhabers und Magiers, A. R.] ansprechen und initiieren“ (S. 169) muss und eine solche Initiation für Männer nötig ist, „um den Weg zur spirituellen Reife anzutreten“ (S. 18). Rs Buch ist so im Grunde ein einziges Plädoyer dafür, in unserer lange Zeit ritual- und initiationsvergessenen westlichen Kultur und Kirche (hier gerade auch in der Wiederentdeckung entsprechender Traditionen aus der eigenen Spiritualitätsgeschichte) wieder Räume anzubieten und zu schaffen, die Männern solche Initiationen ermöglichen. Nicht zufällig endet das Buch deshalb mit einem Beispiel für ein fünftägiges Initiationsritual für Männer (S. 222-230). R. trifft damit den Nerv der Zeit, wird ja nicht umsonst seit einigen Jahren von der Wiederkehr der Rituale gesprochen und ist Victor Turners Buch „Das Ritual. Struktur und Antistruktur“, das R. ebenfalls in seinem Kapitel über den Schwellenraum (S. 184-192) rezipiert, mittlerweile zu einem Klassiker auch unter Theologinnen und Theologen geworden. Ich gestehe, dass ich vor allen Dingen R.s mythopoetischem Ansatz mit seiner Konzentration auf die oben genannten vier Archetypen nach wie vor skeptisch gegenüberstehe. Fasziniert hat mich sein Buch dennoch, weil es viele wichtige, anregende, ermutigende, irritierende und provozierende Beobachtungen, Wahrnehmungen und Erfahrungen enthält, die eine unmittelbare Anknüpfung an eigene Erfahrungen, Wahrnehmungen, Irritationen ermöglichen. Zwei kleine Beispiele nur dafür – mit aktuellem Hintergrund: „Wir“, so schreibt R. an einer Stelle zum Thema Schwellenraum in der Ritualtheorie von Turner, „sind wohl echte Experten darin, den Menschen schwellenähnliche Räume anzubieten – Fälschungen des echten Schwellenraums. Gottesdienste werden immer mehr zum Entertainment, religiöse Konsummentalität ersetzt jegliche Übung des Fastens, Almosengebens und Betens. Laute Musik und große Menschenmengen ersetzen Tiefe oder Weite, Spektakel ersetzen echte Katharsis“ (S. 190). Provozierende Worte gewiss in diesen Tagen, wo wir die Ereignisse in Rom noch in guter Erinnerung haben und den Weltjugendtag im August unmittelbar vor Augen! Ein zweites Beispiel: „Der Ort, an dem Männer am ehesten religiöse Erfahrungen machen, ist die Natur. Das ist auch in der Bibel so. Abraham und Mose, Jakob, Hiob, Jona, Elia und auch Jesus haben ihre großen Erfahrungen nicht im Tempel oder in irgendeinem abgegrenzten heiligen Bezirk gemacht!“ (S. 137). Viele Kollegen in der Männerarbeit werden genau dies bestätigen können. Und wer es im O-Ton von (in diesem Falle kirchenfernen) Männern hören möchte, lese nur die aktuelle, von der evangelischen und katholischen Männerarbeit in Auftrag gegebene Studie „Was Männern Sinn gibt“ (mehr dazu auf unserer Internetseite). Fazit: Ein wichtiges, ein lesenswertes Buch!

 

Andreas Ruffing

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