Richter, Die Krise der Männlichkeit in der unerwachsenen Gesellschaft.

Horst-Eberhard Richter, Die Krise der Männlichkeit in der unerwachsenen Gesellschaft („edition psychosozial“). Psychosozial-Verlag, Gießen 2006. ISBN 3-89806-570-7. 283 Seiten, € 19,90.

 

Horst-Eberhard Richter ist in der Zunft der deutschen Psychoanalytiker und Sozialphilosophen zweifellos so etwas wie ein Star, weil er immer auch dezidiert und pointiert zu aktuellen gesellschaftlichen Fragen Stellung bezogen hat. Und so werden seine Bücher seit Jahren und Jahrzehnten beileibe nicht nur im engen Kreis der Fachkolleginnen und Fachkollegen gelesen. Da macht es neugierig, dass Richter im Jahre 2006 ein Buch über „die Krise der Männlichkeit“ veröffentlicht hat. Der 1923 geborene Autor hat ein komplexes und vielschichtiges Alterswerk vorgelegt, in dem er massiv die „neoliberale Brutalisierung der Gesellschaft“ (S. 122) im Globalisierungsprozess kritisiert und eine überlebens-notwendige Umkehr zu einer Gesellschaft des Mitgefühls und der Solidarität fordert. So steht dieses Buch ganz in der Linie seines 2005 erschienenen Werkes „Ist eine andere Welt möglich? Für eine solidarische Globalisierung“.

Was aber ist für die Brutalisierung der Gesellschaft verantwortlich? Nach Richter ist es „eine dominierend von Männern geprägte Welt in Hetze nach Maß- und Grenzenlosigkeit zur Kompensation von Entmännlichungsängsten; immer mehr abgespalten von Empathie, von Gefühlen der Verbundenheit, des Sorgens umeinander, bei schrumpfender Verantwortung für die abgehängten Schwächeren und für das Leben in nachfolgenden Zeiten“ (S. 214). Und so macht sich Richter auf die Spur der Wurzeln dieser Lebenshaltung in der abendländischen Geistesgeschichte: Er zeigt auf, dass es zugleich auch immer die „andere Seite“ gab (z. B. im 5. Kapitel, wo er „franziskanisches Christentum“ einem „evangelikalen Militarismus“ gegenüberstellt – im Übrigen eine bemerkenswerte Lektüre zum aktuellen Thema „religiöser Fundamentalismus“). Er stellt in spannenden Biogrammen markante Vertreter einer brutalisierten Männlichkeit (besonders eindrücklich fand ich die Skizzierung des deutsch-amerikanischen Raketenpioniers Wernher von Braun im 7. Kapitel) und ihre Antagonisten vor. Und er schließt mit aktuellen Initiativen für eine solidarischere Globalisierung, die ihm Hoffnung machen, dass auch andere Wege möglich sind.

Wer in Kenntnis der aktuellen Männerforschung in den Sozialwissenschaften das Buch von Richter liest, fühlt sich mehr als einmal an den von Bob Connell geprägten Terminus der „hegemonialen Männlichkeit“ erinnert. Denn Richter beschreibt im Grunde nichts anderes als jene die westliche Welt prägende „hegemoniale Männlichkeit“, die einseitig Erfolg, Stärke und Durchsetzungsvermögen propagiert – zu Lasten gerade von Werten wie Empathie, Mitgefühl und Solidarität. Umso erstaunlicher finde ich, dass Richter die Arbeiten von Bob Connell offenbar nicht kennt. Im ausführlichen Literaturverzeichnis jedenfalls findet sich sein Name nicht. Vielleicht hätte ihn ein Blick in die Arbeiten von Connell und anderer Männerforscher auch davor bewahrt, undifferenziert im Anschluss an C. G. Jung davon zu sprechen, dass „der Mann (sic!) … in sich psychologisch ein Stück mehr Weiblichkeit“ (S. 11) entwickeln muss, und damit zugleich wieder das von ihm im Folgenden kritisierte vorherrschende Männlichkeitsbild zu verfestigen.

Dies jedoch schmälert nicht den Wert des Buches, das für alle, die in Bildung und Pastoral mit Männern zu tun haben, als anregende Hintergrundlektüre zu empfehlen ist.

 

 

 

Andreas Ruffing

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