Hollstein, Geschlechterdemokratie.

Walter Hollstein, Geschlechterdemokratie. Männer und Frauen: Besser miteinander leben. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004. ISBN 3-8100-3978-0. 359 Seiten, € 28,90.

 

Seit mehr als 15 Jahren ist der mittlerweile an der Uni Bremen tätige Soziologe Walter Hollstein mit seinen Büchern zu Männer- und Geschlechterfragen auf dem Sachbuchmarkt ein bekannter und gerne gelesener Autor. Erinnert sei nur an seinen Erstling „Nicht Herrscher, aber kräftig. Die Zukunft der Männer“ von 1988 oder an sein letztes Buch „Potent werden. Das Handbuch für Männer“ aus dem Jahre 2001. Mit dem vorliegenden Buch greift er nun nach 1993 wieder dezidiert das Thema der Geschlechterbeziehungen auf. War es vor 11 Jahren noch der „Kampf der Geschlechter“ (so der Titel seines damaligen Buches), der ihn beschäftigte, so steht nun der Begriff der „Geschlechterdemokratie“ im Mittelpunkt. Der Unterschied im Titel zu damals ist durchaus bezeichnend für die aktuelle Debatte, die im Verhältnis zu früher in der Geschlechterdebatte weniger das Konfrontative als das Verbindende in den Mittelpunkt stellt. Der Untertitel verrät dann auch, worum es dabei eigentlich geht: Ein gerechtes und von gegenseitigem Wohlwollen geprägtes Miteinander der Geschlechter bereichert das Leben von Frauen und Männern gleichermaßen und ist zudem für die Zukunft unseres Gemeinwesens von fundamentaler Bedeutung.

Ausgehend von dieser Grundannahme präsentiert W. H. in sechs großen Kapiteln (Liebe – Einst und Jetzt – Frauen und Männer. Das Gegenwärtige und das Grundsätzliche – Die Segregation der Geschlechter. Empirische Daten und Zusammenhänge – Geschlechterrealitäten und Geschlechterkonstruktionen – Geschlechterdemokratie; S. 15-343) eine überaus lesenswerte Übersicht zum Stand und zu der Entwicklung der Geschlechterbeziehungen und -verhältnisse im deutschsprachigen Raum, um am Schluss (S. 345-349) dann nochmals kurz wesentliche geschlechterpolitische Anliegen für die Zukunft zu formulieren.

H. gelingt es – wie schon in früheren Veröffentlichungen – die vielfältige und zum Teil unübersichtliche wissenschaftliche und politische Geschlechterdiskussion, die sich in den letzten Jahren stark an Begriffen wie Geschlechterdemokratie und Gender Mainstreaming festgemacht hat, konzentriert und zugleich sichtbar in ihrer Alltagsrelevanz für Frauen und Männer darzustellen. Dabei macht er auf wegweisende Tendenzen und Entwicklungen, aber auch auf mögliche Stolperfallen und Irrwege aufmerksam. Die eingestreuten Interviews mit Fachleuten aus Wissenschaft, Beratung und Politik – übrigens eine „Spezialität“ der Bücher von W. H. – helfen dabei, bestimmte Positionen und Sichtweisen im O-Ton ihrer Protagonisten besser einordnen und verstehen zu können.

Welche Einsichten bietet nun H. bei seiner tour d’horizon durch die Geschlechterdebatte der letzten Jahre? Drei Punkte will ich kurz auflisten: Zum ersten sicherlich zunächst die ernüchternde Erkenntnis, dass auch in Zeiten von Gender Mainstreaming Geschlechterpolitik nach wie vor ein Randthema ist. Zum zweiten die Beobachtung, dass die weiter ungelöste Problematik der Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen und Männer eine, wenn nicht die Schlüsselfrage für eine gerechte Ausgestaltung des Geschlechterverhältnisses in der Zukunft darstellt. Und zum dritten schließlich die Ansicht, dass Benachteiligungen und Ungerechtigkeiten im Verhältnis der Geschlechter (wobei nicht allein nur Frauen davon betroffen sind) allein durch neue Bündnisse engagierter Frauen und Männer und durch eine gemeinsame Geschlechterpolitik statt einseitiger Frauen- (und Männer-)Politik überwunden werden können.

So bleibt für die Zukunft eine doppelte Aufgabe, die zugleich eine gewaltige Herausforderung darstellt: „Neue Geschlechterverhältnisse, die menschlich, ökonomisch und ökologisch angesagt sind, lassen sich durch reformierte Anstrengungen in der Wirtschafts-, Sozial- und Geschlechterpolitik (Familienpolitik) befördern. Allein das reicht nicht aus. Geschlechterdemokratie ist eine Aufgabe, die einen grundsätzlichen Bewusstseinswandel von staatlichen Trägern und gesellschaftlichen Institutionen, von allen Frauen und allen Männern verlangt, der die Anstrengungen bisheriger Veränderungen … bei weitem übersteigt“ (S. 349).

Wer aus privaten oder beruflichen Gründen einen umfassenden und kompetenten Überblick über das sucht, was derzeit in Sachen Geschlechterforschung und -politik verhandelt wird bzw. in naher Zukunft ansteht, dem ist das neue Buch von W. H. zu empfehlen.

 

Andreas Ruffing

 

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