Aigner, Der andere Mann

Josef Christian Aigner (Hg.), Der andere Mann. Ein alternativer Blick auf Entwicklung, Lebenslagen und Probleme von Männern heute.
der-andere-mann Gießen (Psychosozial-Verlag) 2016.

„Schon wieder anders?!“ So könnte man, erschöpft von den Genderdebatten, Diversity-Diskussionen, Emanzipationsansagen weiblicher und männlicher Provenienz und Gleichstellungspolitiken ausrufen, wenn es um Männlichkeit geht. „Ja, zum Glück“, möchte man antworten, denn dieses Buch versucht, es sich mit der sogenannten „neuen Männlichkeit“ nicht zu leicht zu machen. „Anders“ heißt für die Beiträge in diesem Sammelband von verschiedenen Aufsätzen und Essays vor allem anders als die Skepsis gegenüber der These von der erworbenen, ererbten Männlichkeit, die überwunden werden müsse, um zu echter Geschlechtergerechtigkeit zu kommen.

Zum Glück ist vieles anders geworden, als in den 60er Jahren, in denen der Mann angeblich noch wusste, was ein „richtiger Mann“ ist. Vieles ist sogar besser geworden, differenzierter, dank der „neuen Männlichkeit“. Aber auch die „alte“ Männlichkeit kannte Fürsorge, Warmherzigkeit und Empathie. Brutalität und körperliche Züchtigung sind heute zum Glück Tabu (wenn auch nicht aus der Welt). Aber die positiven Eigenschaften von Aggression und Autorität herauszuarbeiten, so wie es beispielsweise Hans-Geert Metzger in seinem Beitrag „Der strukturierte Mann“ (95 ff.) tut, ist zwar möglicherweise nicht mainstreamfähig, aber notwendig, um das Lebensgefühl, die Diversität von Männlichkeit und deren Wert herauszuarbeiten, z.B. in der Erziehung von Kindern.

Und so geht es im ganzen Buch zu. Männlichkeit wird nicht auf ihre modernen Stereotypen gewünschter Männlichkeit hin untersucht, sondern auf das hin, was sie derzeit als Lebensgefühl ausmacht, nämlich ein Mosaik von Erbmasse, Hormonen, sozialem Lernen, persönlichem Nachdenken und Hinterfragen und der Freude am Leben, der Sexualität und dem Wunsch nach einer erfüllten Lebensgestaltung. Die Zeiten der Ironisierung der Männlichkeit in der Werbung scheint vorbei, vielmehr sprießen seriöse Männermagazine wie Pilze aus dem Boden („Dad“, „Zeit-Magazin Mann“), mindestens ein Fernsehsender (DMAX) widmet sich fast ausschließlich Themen, die Männer interessieren, ohne rot zu werden. Gleichzeitig haben moderne Männer Gleichstellungspolitiken im Blick (vgl. Markus Theunert „Die andere Geschlechterpolitik“, S. 165 ff.) und werfen einen theologisch differenzierten Blick auf das Gender-Mainstreaming (vgl. Peter Stöger, „Geist und Geistin“, S. 213 ff.).

Allerdings zeigt gerade der Aufsatz von Stöger, auf welch schwierigem Terrain sich die Reflexion über Männlichkeiten bewegt. Wenn „der Mann“ anders sein kann und darf, als erwünscht, heißt dies noch nicht, die Diversität der Definition von „männlich“ und „weiblich“ zu negieren und beispielsweise vor einer Auflösung der traditionellen Ordnung der Familie zu warnen, wenn die traditionellen Vater- und Mutterbilder anders definiert werden und dies mit psychoanalytischen Methoden getan wird, die, gelinde gesagt, hinterfragbar sind. Gender-Mainstreaming als Waffe gegen die Familie einzusetzen, macht es sich auf jeden Fall zu einfach.

Zu einem angemessenen Querdenken gehört vielmehr die Erinnerung, dass die Reflexion über das eigene Mannsein vor allem nicht prinzipiell betrieben werden kann, sondern etwas höchst Persönliches ist. Das untersucht Hans Prömper beispielsweise ( „Vom Glück, ein Anderer zu sein“, S. 189), wenn er die Qualität der Männerarbeit und Männerbildung als „Anders-Ort“ beschreibt, als einen notwendig exklusiven Ort, wo „der Mann“ seine ganz persönliche Identität suchen und finden kann, und dies in solidarischer Gemeinschaft mit anderen Männern. Diese Männer-Orte sind der Weg, den „anderen Mann“ zu finden und die Schönheit und Wert von Männlichkeit wiederzuentdecken.

Bedeutsam scheinen mir auch Hinweise zu Genderaspekten in der Männerberatung. „Doing Gender“ als Strategie geschlechtergerechten Zugehens auf Problemlagen von Männern ist von großer Bedeutung. Die latente bzw. offen ausgesprochene Abwertung männerspezifischer Bewältigungsmuster hat noch keinem Mann aus seiner Hilflosigkeit herausgeholfen. Wohl aber das einfühlsame, mitgehende Dabeibleiben, wenn der Mann zum Sprechen kommt. Dies wird in den Beiträgen beschrieben, die sich explizit mit der immer mehr an Bedeutung gewinnenden Beratung und Therapie für Männer von Männern beschäftigen (z.B. Eduard  Waidhofer „Männer leiden anders, S. 139ff. und Gotthard Bertsch & Martin Christandl, „Einfach Männer“, S. 127 ff.).

Das Buch versucht eine Gratwanderung. Einerseits wollen sich die Beiträge nicht der Forderung nach einer Angleichung der Geschlechterrollen verschließen, die vor allem Konsequenzen für die Rollenfindung als Partner und Vater haben. Andererseits wenden sich viele Autoren gegen eine Gleichmachung, die viele Männer in ihrem Leben nicht verwirklichen wollen und können, weil sie sich ihrer „sozio-biologischen Erbmasse“ bewusst sind, die sie nicht überwinden, sondern in eine zeitgemäße Form „übersetzen“ wollen. Dies wäre Im Übrigen ein überaus erwachsener Umgang mit der eigenen Biographie.

Männer seien einfach anders, so die nicht neue, aber mit vielen Argumenten vorgetragene These dieses Sammelbandes. Er ist ein wertvoller Beitrag für eine differenzierte Diskussion in der Genderdebatte und trägt dazu bei, die bunte Vielfalt möglicher Männlichkeiten (wieder) zu entdecken. Für Männerarbeiter und -seelsorger, aber auch für theoretische Männerforscher/innen eine unbedingt empfehlenswerte Lektüre.

Dr. Andreas Heek, 25.10.2016

 

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